Abfederung sozialer Benachteiligung? Kleinstädte in peripherisierten Regionen als Alltagsorte

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 0.106
Autor*innen
Annett Steinführer (Thünen-Institut)
Kurz­be­schreib­ung
Kleine Städte sind sozialstrukturell und als Orte mit spezifischer Bedeutung für die Alltagsbewältigung sozial Benachteiligter wenig untersucht. Unter Nutzung von Ergebnissen aus zwei Forschungsprojekten wird dieses Desiderat mit verschiedenen Datensätzen und Methoden adressiert.

Abstract

In solchen ländlichen Räumen, die von wirtschaftlicher Strukturschwäche, demographischer Alterung und langfristiger Peripherisierung betroffen sind, kommt Kleinstädten eine besondere Rolle zu. Hier konzentrieren sich durch die verstärkte räumliche Zentralisierung öffentlicher und privatwirtschaftlicher Daseinsvorsorgeeinrichtungen viele wichtige Angebote für die Alltagsbewältigung, die es in den umliegenden Dörfern nicht mehr gibt: Stadt- und Kreisverwaltungen, Nahversorger und Tafeln, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Kneipen und Mietwohnungen. Als Gelegenheitsstrukturen haben sie für die Bevölkerung der Kernstädte, aber auch des näheren und weiteren Umlands eine hohe Bedeutung.

Diese Entwicklung nimmt der Vortrag zum Anlass, um danach zu fragen, welche Rolle die Kernstädte flächengroßer Gemeinden in peripherisierten Räumen für die Alltagsbewältigung sozial Benachteiligter spielen. Dafür wird zunächst untersucht, ob Kleinstädte in besonderem Maße durch selektive Zuzüge von Menschen mit geringerem Einkommen, niedriger formaler Bildung und/oder einer prekären beruflichen Situation gekennzeichnet sind. Dieser Frage kommt angesichts des Forschungsstands zur Sozialstruktur kleiner Städte in Deutschland in Deutschland eine große Bedeutung zu, ist dies doch einer der blinden Flecke der Kleinstadtforschung (Schiemann/Steinführer 2021). Das liegt zum einen an der schlechten kleinräumigen Datenverfügbarkeit (Großmann et al. 2021) und korrespondiert zum anderen mit einem strukturellen Desinteresse an diesem Siedlungstyp sowie an Fragen sozialräumlicher Ungleichheit jenseits der Großstädte. Der Schwerpunkt des Vortrags liegt anschließend auf der Frage nach der Nutzung kleinstädtischer Gelegenheitsstrukturen für die Alltagsbewältigung sozial Benachteiligter, ihre Alltagspraktiken und Sinnzuschreibungen. Von besonderem Interesse ist der Vergleich von sozial Benachteiligten in Dörfern des Umlands mit jenen in den Kernstädten selbst.

Die Darstellungen stützen sich auf Ergebnisse zweier jüngst abgeschlossener Forschungsprojekte: einer deutschlandweiten Studie zu Wanderungsentscheidungen für oder gegen ländliche Räume, die mit einem mixed-methods-Zugang unter anderem die Sozialstruktur, die Motive und Gründe für Wanderungen und Standortentscheidungen analysierte, sowie (und insbesondere) einem fallstudienbasierten Projekt über das Zusammenspiel von sozialer und räumlicher Benachteiligung in ostdeutschen ländlichen Peripherien, das auf problemzentrierten Interviews mit Arbeitsmarktbenachteiligten, Alleinerziehenden und älteren Alleinlebenden basierte.