„Alarm für die Nachbarn”: Aushandlungsprozesse diverser muslimischer Repräsentationspraktiken in Leipzig
Abstract
Die Sichtbarkeit des Islam führt in Deutschland immer wieder zu Konflikten. Wenn es darum geht, dass muslimische Repräsentationspraktiken, wie der Bau von Moscheen, im architektonisch und funktional europäisch geprägten Stadtbild an Repräsentanz gewinnen, treten Ängste, Kritik und Skepsis im öffentlichen Diskurs zutage (Bielefeldt 2010: 175). Daraus ergeben sich die Herausforderungen, eine Pluralisierung von Muslime*innen zu überwinden und innerhalb des lokalen Kontexts zu reflektieren (Färber, Spielhaus & Binder 2012: 61f.). Auch die zwingende Verbindung mit dem Thema Migration muss infrage gestellt werden, da sie Muslime*innen individuelle Alltagspraktiken abspricht und zur pluralisierenden Sichtweise beiträgt (ebd.).
In Leipzig wird die Skepsis an dem seit 2012/13 geplanten Bau einer repräsentativen Moschee der Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat im Stadtteil Gohlis deutlich. Der noch immer nicht begonnene Bau wurde kontrovers diskutiert und mündete in einer feindseligen Provokation gegen die Gemeinde (Wiest & Kirndörfer 2020). Vor diesem Hintergrund ist das Ziel des vorliegenden Beitrags zu untersuchen, wie bereits bestehende muslimische Repräsentationen in Leipzig ver- und ausgehandelt werden. Anhand von Vor-Ort-Begehungen mit Fotografien und anschließender Bildanalyse sowie leitfadengestützten Experte*inneninterviews untersuchen wir, wie muslimische Gebetsorte in Leipzig sichtbar werden und inwiefern deren (Un)Sichtbarkeit in einen Zusammenhang mit Migration gestellt wird. Mithilfe einer wissenssoziologischen Diskursanalyse fragen wir weiter, welche Rolle die Öffentlichkeit bei den lokalen Aushandlungsprozessen spielt.
Die Auswertungen zeigen, dass muslimische Gebetsorte der unterschiedlichen Gemeinden sowohl aufgrund finanzieller und struktureller Hürden als auch Konfliktvermeidung (“Alarm für die Nachbarn”) eher den “Hinterhofmoscheen” ähneln, wie sie in den 60er Jahren im Westen Deutschlands aufkamen (Ceylan 2006: 125). Einige Interviewpartner*innen erläutern aber auch ihre Zufriedenheit mit den Gebetsorten, die insbesondere für die 1. Generation Orte der Migration und damit sozialer Netzwerke sind, in denen keine Sprachbarrieren bestehen. Für die 2. Generation verlieren diese Orte an Bedeutung da Migration immer weniger den Alltag bestimmt (Unsichtbarkeit). Damit erlebt Leipzig aufgrund seiner ostdeutschen Vergangenheit eine teilweise nachholende Debatte, was die Ankunft des Islam durch Migration angeht. Jedoch weicht auch hier Religion als Kultur individuellen Repräsentations- und Alltagspraktiken, denn Muslime*innen haben vielfältige Identitäten, und sind weder auf Religion noch Migration zu reduzieren. Dies könnte im öffentlichen Diskurs stärker thematisiert werden, um gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten von Muslime*innen zu stärken. Die Sichtbarkeit muslimischer Gebetsorte fördert zudem lokale Aushandlungsprozesse, die zwar zu Konflikten führen, jedoch im Sinne der postmigrantischen Stadt notwendig sind.