Am Berg ist die Welt noch in Ordnung: Auswirkungen von Verlust und Rückgewinn alltäglicher Naturerfahrungen im Laufe der COVID-19 Pandemie

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 7
Autor*innen
Leonie Wächter (Karlsruher Institut für Technologie)
Tabea Bork-Hüffer (Universität Innsbruck)
Kurz­be­schreib­ung
Während der COVID-Pandemie im Jahr 2020 mussten junge Menschen in Innsbruck mit dem Verlust von alltäglichen Naturerfahrungen umgehen. Diese Verlusterfahrung zeigte die bedeutende Rolle von Naturräumen für die psychische und physische Erholung auf und macht die Veränderung der Wahrnehmung der natürlichen Umwelt über die Phasen der Pandemie deutlich.
Schlag­wörter
COVID-19, Naturerfahrung, Verlust, Wahrnehmung

Abstract

Mit der weltweiten Verbreitung von COVID-19 zu Beginn des Jahres 2020 waren die Auswirkungen der Pandemie als globale Krise innerhalb kürzester Zeit in jedem Bereich des alltäglichen Lebens spürbar. Menschen mussten mit (alltäglichen) wirtschaftlichen, sozialen aber vor allem persönlichen Verlusten unterschiedlichen Ausmaßes – bis hin zu Krankheit und Tod Angehöriger – umgehen, die enorme Auswirkungen auf den Körper und die Psyche hatten. Hier knüpfen wir mit Ergebnissen aus dem Forschungsprojekt COV-IDENTITIES an, das mittels einer qualitative Längsschnittstudie, die Auswirkungen der Pandemie auf die emotionale Beziehung junger Erwachsener zur Natur untersucht. Dafür wurden 98 junge Erwachsene in Innsbruck, Österreich im ersten Jahr der Pandemie begleitet. Mit einem Multi-Methoden-Ansatz, der schriftliche Narrative mit Mobile Instant Messaging-Interviews (MIMIs) kombiniert, wurden 98 junge Erwachsene, die in Bildungseinrichtungen in Tirol eingeschrieben waren, durch das erste Jahr der Pandemie begleitet. Die Auswertung des (multimedialen) Materials erfolgte mittels qualitativer Diskurs- und Inhaltsanalysen und stützt sich auf theoretische Ansätze aus den Bereichen des Sense of Place, der Geographies of Embodied Outdoors und den Geographies of Loss. Über die Datenerhebungsphasen, beginnend im Frühjahr 2020 während des ersten harten Lockdowns über die Entspannung im Sommer 2020 bis zum Anstieg der zweiten Welle im November 2020, zeigt sich, dass der Verlust von Naturerfahrungen im Alltag mit Emotionen wie tiefer Trauer und Traurigkeit einher ging. Die Aufhebung der Maßnahmen und der damit zusammenhängende Rückgewinn von Naturerfahrungen im Alltag wird dagegen euphorisch gefeiert. Die Natur als Ort an dem „die Welt […] noch in Ordnung“ ist, wird dem pandemischen Leben diskursiv gegenübergestellt, das z.B. als “Qual”, “Konflikt”, “kaum erträglich” und “perspektivlos” charakterisiert wird. Verlusterfahrungen, für manche Teilnehmende die ersten im Leben, spielen dabei eine große Rolle und können verschiedene Dimensionen annehmen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse die bedeutende Rolle von Naturräumen für die psychische und physische Erholung im Verlauf des ersten Pandemiejahr. Lokale Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie stehen in direktem Zusammenhang mit einer Veränderung der Wahrnehmung und einem Wandel von alltäglichen Routinen und Gewohnheiten, die mit der natürlichen Umwelt zusammenhängen.