Auf dem Weg zu einer raumanalytisch fundierten Kulturtheorie
Abstract
Auf dem Weg zu einer raumanalytisch fundierten Kulturtheorie
Eine Perspektive, welche die Produktion von Räumen als sozialen Prozess ansieht, hat sich spätestens in den 1990er-Jahren durchgesetzt. Damit ist allerdings nur die Hälfte der Geschichte erzählt. Aufgrund der anthropologischen Notwendigkeit zur Produktion sozialer Räume (Menschen haben keinen angeborenen Lebensraum [Plessner]), steht die Konstitution von Räumen für alle Gesellschaften unmittelbar auf der Agenda. Jede noch so basale Orientierung in der Welt, sei es zur Nahrungssuche, zum Finden von (Sexual)Partner*innen oder zur Ermöglichung von Kommunikation mit anderen Subjekten, setzt soziale Raumkonstitutionen voraus. Die fundamentale Stellung, welche die Herstellung sozialer Räume bei der Erschaffung eines für uns belebbaren kulturellen Universums innehat, ermöglicht eine Perspektivumkehr, wie sie in den Sozialwissenschaften bisher nur selten vorgenommen wurde – also nicht nur die Produktion von Raum aus der Perspektive der Sozialtheorie zu beschreiben, sondern auch Sozialtheorie raumanalytisch zu fundieren.
Ausgehend von dieser anthropologischen Grundlage, welche die fundamentale Bedeutung von Raum für alle Formen menschlichen Zusammenlebens betont, ohne dabei den Raum essenzialisieren zu müssen, wird mein Beitrag einen Vorschlag erarbeiten, wie Kultur räumlich zu denken ist. Dabei wird auf einen weiten Kulturbegriff rekurriert, der Kultur nicht mit Gemeinschaften, sondern mit Wissensordnungen assoziiert (Reckwitz).
Ein solcher wissenssoziologischer Kulturbegriff (Berger/Luckmann; Knoblauch) kann Überlagerungen und Hybridisierungen von Kultur hervorragend einfangen, stellt aber eine Herausforderung für die empirische Analyse dar. Ein raumanalytischer Zugang zu Kultur – so meine zentrale These – kann helfen, diese Herausforderungen bei der Rekonstruktion von Kulturen zu bewältigen. Diesen Zugang habe ich in der kürzlich eingereichten Habilitationsschrift „Die Räume der Welt“ entwickelt. Um zu verhindern, dass der Raum dabei nur in Form von „Kulturcontainern“ erscheint, beziehe ich mich auf eine Differenzierung unterschiedlicher Raumfiguren wie Bahnenräume, Orteräume, Netzwerkräume und territoriale Räume (Löw).
Mithilfe kleiner empirischer Beispiele werde ich verdeutlichen, wie entlang all dieser Raumfiguren Kulturen entstehen, sich verbreiten, überlagern und gegebenenfalls in Konflikt miteinander geraten. Dabei möchte ich argumentieren, dass Kulturproduktion immer im Kern als verräumlichter sozialer Prozess anzusehen ist – dass Kulturen also nicht einfach nur bestimmte Räume produzieren, sondern dass sie ganz wesentlich von der Art und Weise geprägt sind, wie und welche Räume mit ihnen im Zusammenhang stehen.