Bahnhofsviertel – zentrale Aufgabe der Kleinstadtentwicklung?

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 0.106
Autor*innen
Arvid Krüger (Universität Kassel)
Kurz­be­schreib­ung
Ein Großteil der zentralen Transformationsherausforderungen wird in Kleinstädten um die räumliche Schnittstelle Bahnhofsviertel nicht drumherumkommen. Die Realität eines Bahnhofsumfeld in vielen Kleinstädten ist aber eine andere - keine Aufenthaltsqualität am Bahnhof und drumherum; selbst wenn funktional alles in Ordnung ist (und vll. sogar Mobilitätsangebote da sind), erscheinen sie als Orte, von denen man "möglichst schnell weg" will. Wie können Kleinstädte ihre Bahnhofsumfelder und Bahnhöfe wieder in den Blick nehmen, dami sie zu Eingangstoren in diese - und zugleich zu Kristallisationskernen der Mobilitätswende werden können? Und was bedeutet das für Geografie und Stadtforschung, grad mit Blick auf Transfer und Transformation in der Forschung?

Abstract

Transit Oriented Development (TOD) ist eine Stadtentwicklungsstrategie, die sich auf die Neuanlage (regionalplanerisch wie städtebaulich) von Stadtquartieren entlang hochwertiger, i.d.R. schienengebundener Verkehrsinfrastruktur fokussiert; die Stadtquartiere selbst sind dabei kompakt gehalten und entsprechen dem Leitbild einer Stadt der kurzen Wege. Sie sollen dabei den Umstieg vom Auto auf andere Mobilitätsmodi erleichtern und können daher in der gegenwärtigen Herausforderung der Klimaanpassung einen wesentlichen Beitrag leisten. Gegenwärtig kommen Transit Development Strategien vornehmlich im Neubau und in westlich geprägten nichteuropäischen Teilen der Welt vor, so in Japan und an der US-amerikanischen Westküste (Portland, Oregon, San Diego und San Jose, Kalifornien), in Vancouver oder Singapur. Wenn die Mobilitätswende gelingen soll, braucht es Transit Oriented Development in bestehenden städtebaulichen Situationen - das Eisenbahnnetz in Deutschland ist schon da! - und auch in der Fläche.

Das ist besonders relevant, wenn man die Metropolen verlässt. Transit Oriented Development ist eben nicht nur etwas für Großstädte, sondern kann durch die Möglichkeit der Einbettung in die Mechanismen der Städtebauförderung in der Fläche zum Einsatz kommen. Und mit Blick auf die städtebaulichen Realitäten der Bahnhofsumfelder liegen hier auch die größeren Herausforderungen. Auch Kleinstädte bekommen – zumeist mithilfe der Städtebauförderprogramme – diese funktionale Erneuerung hin, ein Blick in die Preisträger der „Bahnhöfe des Jahres“ zeigt dies: jedoch, es bleiben Einzelfälle (z.B.Winterberg, Kühlungsborn West, Altötting oder Rottenbach). Doch der Normalfall der integrierten Stadtentwicklung in Klein- und Mittelstädten lässt es eben zu, den eigenen Bahnhof als Faktor der Stadtentwicklung zu ignorieren, sodass oftmals Kleinstadtbahnhöfe Orte sind, von denen man „möglichst schnell weg möchte,“ nicht nur aufgrund des Bahnhofs selbst, sindern oft auch aufgrund der städtebaulichen Nicht-Qualitäten des unmittelbaren Umfelds, oft ein Transitraum zwischen Bahnhof und Altstadt.

Am Beispiel des 2021-24 laufenden BMBF-Projekts ISDN können die aufgeworfenen Fragen elaboriert werden. Aktuell finden vier Reallabore statt; eins davon beschäftigt sich explizit mit dem Bahnhof Gößnitz, wo sich die Leipziger S-Bahn gen Süden und die Mitte-Deutschland-Verbindung kreuzen. Der Bahnhof von Gößnitz (3000 EW) übernimmt die ÖPNV-Knotenfunktion in der mittelzentralen Funktionsteilung mit Schmölln (12000 EW), besitzt aber nicht mal mehr ein Bahnhofsgebäude. Anhand dieser besonders misslichen Situation lässt sich durch die experimentelle und transformative Forschung, die im Mai 2023 mit einer Charette ihren Höhepunkt findet, besonders verdeutlichen, warum und wie Bahnhofsumfelder zu Kristallisationsorten einer transformationsorientierten, kleinstädtischen Stadtentwicklungspolitik werden können - was zur Diskussion für die räumliche Forschung und ihre Methoden gestellt werden kann.