Begegnungsorte gibt‘s hier nicht? Geographien der Begegnung in kleinstädtischen Migrationsgesellschaften
Abstract
Wie gutes Zusammenleben in Differenz gelingen kann, ist eine vieldiskutierte Fragestellung in der humangeographischen Forschung, insbesondere in superdiversen Metropolen und Quartieren. Begegnungen in Klein- oder Mittelstädten werden in den Geographies of Encounter bislang weitestgehend ausgeklammert. Jedoch findet seit der Zunahme der Fluchtzuwanderung gerade in diesen Orten migrationsbezogene Diversität besondere Beachtung in der lokalen Aushandlung des Zusammenlebens.
Ein wesentlicher Teil der Forschungsliteratur zu Geographien der Begegnung widmet sich der Verhandlung von Diversität bei Begegnungen im öffentlichen Raum. Dabei wird einerseits optimistisch auf eine lebendige urbane Vielfalt und ein Gelingen von multiethnischem Zusammenleben im Alltag verwiesen. Gleichzeitig wird kritisch diskutiert, dass eine solche Vielfalt nicht per se zu einem respektvollen Umgang führt, sondern auch die Bestätigung bestehender Vorbehalte innerhalb einer Stadtgesellschaft mit sich bringen kann. Anders als im öffentlichen Raum verspricht hier das von Ash Amin geprägte Konzept der „micro-publics“ mehr Potential für Begegnungen, die gegenseitiges Verständnis kreieren. Diese so genannten Mikröffentlichkeiten sind Orte, an denen Menschen für ein gemeinsames Ziel zusammenkommen, etwa Orte der Freizeitgestaltung, religiöse Orte oder Bildungseinrichtungen. Sie sind durch situative, persönliche Begegnungen geprägt, aber auch stark von strukturellen Faktoren beeinflusst, in denen sich sozialräumliche Ungleichheiten widerspiegeln.
An diese Debatten anknüpfend beschäftigt sich der Beitrag mit der Frage nach der Art von Begegnungen und ihrer Bedeutung für die lokale Migrationsgesellschaft in Kleinstädten. Empirische Grundlage sind qualitative Interviews mit Geflüchteten, Ehrenamtlichen und lokalen Akteuren der Integrationsarbeit sowie Beobachtungen in vier Kleinstädten in Deutschland, die im Rahmen von zwei Forschungsprojekten im Zeitraum von 2017-22 geführt wurden. Die Analyse versucht eine Systematisierung unterschiedlicher Begegnungsorte und -kontexte entlang der Kriterien Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Erwartungen der Begegnungsteilnehmenden, Sichtbarwerden von Unterschieden und Gemeinsamkeiten („everyday otherness“ - „everyday sameness“) und der Bedeutung für die Lebensqualität geflüchteter Menschen: Welche Begegnungen finden im öffentlichen Raum ländlicher Regionen und Kleinstädten statt? Welche Funktionen übernehmen sogenannte Mikroöffentlichkeiten? Welche Erwartungen haben Begegnungsteilnehmende an Interaktionen, und wie sind diese mit strukturellen Hierarchien und räumlichen Begegnungskontexten von Kleinstädten verwoben?
Der Beitrag möchte zum einen den viel zitierten Begriff der micro-publics empirisch näher ausleuchten. Zum anderen verspricht die Systematisierung von Begegnungsorten aus kleinstädtischer Perspektive einen frischen Blick auf Debatten in den Geographies of Encounter, die vorwiegend auf Erkenntnissen aus großstädtischen Kontexten basieren.