Bleibeprozesse und lokale Beteiligung im Dorf: Normen und Bedeutungszuschreibungen

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 15
Autor*innen
Franziska Lengerer (Braunschweig)
Kurz­be­schreib­ung
Mithilfe eines Mixed-Methods-Ansatzes analysiere ich Zusammenhänge zwischen Bleibeprozessen und den der Beteiligung am Dorfleben zugeschriebenen Bedeutungen und Normen aus Sicht von Dorfbewohnenden in einer von Abwanderung und Alterung gekennzeichneten Region.

Abstract

Aus biographischer Perspektive wird das Bleiben als komplexer „lebensgeschichtlicher“, „situativ-kontextabhängiger“ und „interaktionsgebundener“ Prozess beschrieben (Rühmling 2023, 191ff.). Für Bleibeprozesse von Frauen in ländlichen Räumen zeigt Rühmling auf, dass relevante Interaktionen dabei nicht nur im familiären und engen Bekanntenkreis, sondern darüber hinaus im lokalen Sozialraum eine Rolle spielen. Formen der Beteiligung am Dorfleben werden beispielsweise als Strategie zur Verfestigung des Bleibens erzählt (ebd., 186). Zudem bestätigen Schiemann et al. die alltagsrelevante Bedeutung der „Dorfgemeinschaft“ für Bewohnende ländlicher Räume, die in Erzählungen auf unterschiedliche Weise als Bezugspunkt für Selbstpositionierungen herangezogen wird (2022, 401f.). Gleichzeitig sind normative Ansprüche an das ‚gute Leben‘ in ländlichen Räumen häufig mit „einer in sozialen Nahwelten sich bewegenden und selbst organisierenden Geselligkeit“ (Nell 2022, 109) verknüpft.

In meinem Vortrag möchte ich Zusammenhänge zwischen Bleibeprozessen und den der Beteiligung am Dorfleben zugeschriebenen Bedeutungen und Normen aus Sicht von Dorfbewohnenden beleuchten. Dafür nehme ich ältere Menschen in einer von Abwanderung und Alterung gekennzeichneten Region in Deutschland in den Fokus, die auf unterschiedlichen Wohnbiographien zurückblicken. Unter Formen der Beteiligung am Dorfleben verstehe ich freiwillige Tätigkeiten, die außerhalb des familiären Kontextes im öffentlichen Raum im Dorf stattfinden, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet sind und in der Regel kooperativ ausgeführt werden, was sowohl institutionalisierte als auch informelle Formen der Beteiligung einschließt.

Um die genannten Zusammenhänge zu analysieren, verbinde ich im Rahmen eines Mixed-Methods-Ansatzes qualitative und quantitative Analysen von Daten, die im Rahmen des STAYin(g)Rural-Projektes erhoben wurden. Die Analyse von 15 leitfadengestützten Interviews mit biographisch-narrativem Einstieg ermöglicht Erkenntnisse zur narrativen Verknüpfung von Bleibeprozessen und Bedeutungen der Beteiligung am Dorfleben. Eine Regressionsanalyse basierend auf einer repräsentativen Befragung zeigt zudem kontextualisierend statistische Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Bleibeprozessen und subjektiven Bedeutungen der Beteiligung am Dorfleben auf.

Nell, Werner (2022): »Gutes Leben auf dem Land?«. In: B. Belina, A. Kallert, M. Mießner, M. Naumann (Hg.): Ungleiche ländliche Räume. Widersprüche, Konzepte und Perspektiven: transcript, S. 99–116.

Rühmling, Melanie (2023): Bleiben in ländlichen Räumen. Wohnbiographien und Bleibenslebensweisen von Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern. Bielefeld: transcript.

Schiemann, Sara; Rühmling, Melanie; Klärner, Andreas (2022): »Die Dorfgemeinschaft«. (In)Begriff sozialer Nähe und gesellschaftlichen Zusammenhalts? In: B. Belina, A. Kallert, M. Mießner, M. Naumann (Hg.): Ungleiche ländliche Räume. Widersprüche, Konzepte und Perspektiven: transcript, S. 389–405.