Caring with compost: Mehr-als-menschliche politische Ökologie am Beispiel von fürsorglichen Mensch-Kompost-Beziehungen

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 10
Autor*innen
Manuel Wagner (Annalinde gGmbH)
Kurz­be­schreib­ung
Am Beispiel von ethnographisch-ökologischer Praxis wird eine mehr-als-menschliche Sorgeethik des caring with Kompost entworfen. Kompost als lebendiges Gefüge und relationale Materialität leistet Care-Arbeit (die Herstellung von fruchtbarem Humus) für lebensnotwendige Bedingungen auf diesem Planeten.

Abstract

Die globale Bodendegradation verstärkt sich zusehens, laut United Nations Food and Agricultural Organization sind 30% der weltweiten Böden degradiert und 60-70% der noch verbleibenden in einem schlechten Zustand.

Dabei bildet soil/Boden als Teil der Critical Zone (Banwart et al. 2019; Latour, Weibel 2020) jedoch die Grundlage für Menschen und Mehr-als-Menschen ist, “ohne den sich das Leben auf unserem Planeten nicht erhalten kann” (Francé-Harrar 2010 [1950]: 650).

Seit einigen Jahren versuchen Wissenschaftler*innen daher die Beziehung zwischen Menschen und Böden zu verändern und plädieren dafür sich Zeit zu nehmen (making time for soil)(Puig de la Bellacasa 2015, 2017) und Achtsamkeit (attentiveness)(Krzywoszynska 2019).

Soil/Boden als relational materiality (Salazar et al. 2020; Krzywoszynska & Marchesi 2020) und als living bioinfrastructure (Puig de la Bellacasa 2020) zu fassen, bedeutet anzuerkennen, dass die Bildung von Boden ein mehr-als-menschliches, multispecies worldmaking ist. Wie Anna L. Tsing treffend formuliert hat: “Making worlds is not limited to humans.” (Tsing 2015: 22)

Das Edaphon – wie Mikroorganismen, Mykorrhiza-Fungi-Netzwerke, Regenwürnmer, Larven Spinnen oder Asseln – ist für den Stoffwechsel – Metabolismus – organischer wie anorganischer Substanz in fruchtbaren Humus verantwortlich. Als more-than-human agents sind sie schon seit Jahrmillion dabei den damaged planet (Tsing) Erde zu erhalten, immer wieder zu reparieren, in Kreisläufen zu arbeiten und lebensnotwendige Bedingungen für Menschen und mehr-als-Menschen zu schaffen.

Diese Care-Arbeit, die Herstellung von Humus, findet in erster Linie auf dem Komposthaufen/in der Kompostmiete statt.

Kompost ist viel mehr als Wasser, Luft, anorganische Stoffe und organische Substanz.

Kompost ist mehr ein mehr-als-menschliches Gefüge. Kompost ist ein ständiger Kreislauf und Prozess des Werdens und Vergehens. Kompost als lebendiger Prozess des Verottens.

Ihn so zu begreifen bedeutet auch anzuerkennen, dass Kompost durchdrungen ist von Lebendigem und nicht-Lebendigem und zugleich diese Trennung radikal in Frage stellt.

Im Vortrag werden daher María Puig de la Bellacasas Überlegungen zu more-than-human care ethics (2017) und Manuela Zechners Gedanken zu Earthcare (2022) anhand von ethnographisch-ökologischer Praxis (in Münster und Leipzig) des fürsorglichen Umgangs mit Kompost verwoben und ein Modus des mit-werdens mit Kompost entworfen. Dies ist eine fürsorgliche, ökologische, solidarische Praxis, ein caring-with (Tronto 1992), ein praktisches „Sorge-tragen“ für Böden, Bodenlebewesen, Komposte und vieles mehr.