Computational Social Science als Perspektive für die Aktionsraumforschung? Eine Diskussion über Chancen und Herausforderungen
Abstract
Analog zur stadtsoziologischen Segregationsforschung, die von der Annahme geleitet wird, dass sich die Wohnorte von Personen in Abhängigkeit sozialstruktureller Merkmale nicht gleichmäßig über ein Stadtgebiet verteilen, geht die Aktionsraumforschung davon aus, dass sich auch die Bewegungsmuster und Aufenthaltsorte von Stadtbewohnern nicht zufällig verteilen, sondern in Abhängigkeit von Wahrnehmungs‑, Deutungs- und Handlungsmustern, die zumeist mit spezifischen soziodemographischen Merkmalen korrelieren.
In den 1970er und 1980er Jahren wurden zur Erforschung der Aktionsräume meist Zeitbudgets von Versuchspersonen erhoben, welche Angaben über die im Tagesverlauf besuchten Orten und ausgeübten Aktivitäten enthielten. Empirisch wurden diese Zeitbudgets z.B. von Dangschat et al. mit Hilfe von Interviews erhoben, während Friedrichs unter anderem Tagebücher oder Fahrtenbücher von Proband*innen führen ließ.
Die Aktionsraumforschung unterliegt einigen methodischen Problemen, was vielleicht auch der Grund dafür ist, weshalb sie, zumindest in der deutschen Soziologie, nicht weiter verfolgt wurde. So muss beispielsweise eine Auswahl von Aktivitäten ex ante getroffen werden. Das betrifft ebenso die Auswahl der besuchten Orte, sodass nur solche berücksichtigt werden (können), die voraussichtlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit besucht werden. Außerdem liefern die Zeitbudgets keine Individualdaten im engeren Sinne, sondern bloß Informationen über Tagesabläufe. Nicht zuletzt ist danach zu fragen, wie objektiv die Angaben sein können, die aus der subjektiven Reflexion über den individuellen Tages- und Bewegungsablauf gezogen werden.
Seit einigen Jahren stehen allerdings Technologien zur Verfügung, die ein Nachdenken über eine Neuauflage der Aktionsraumforschung als sinnvoll erscheinen lassen. Unter dem Schlagwort „Computational Social Science“, hat sich ein sehr heterogener Diskurs entwickelt, der sowohl Studien zur Analyse von Internetdaten (WebScience und BigData), Forschungsansätze aus dem Bereich Computersimulation (Agent-Base-Simulation, Microsimulation, etc.) aber auch Verfahren zur Erhebung und Auswertung von Smartphone-Daten (GPS, Log-Dateien, etc.) umfasst. Ganz allgemein geht es darum, mit computergestützten Erhebungs- und Auswertungsmethoden neue Formen von Datensätzen zu generieren, mit Hilfe derer das soziale Verhalten von Personen analysiert werden kann. Für die Aktionsraumforschung bieten sich in diesem Zusammenhang gerade solche Erhebungsmethoden an, die die räumliche Bewegung von Personen erfassen und für empirische Analysen zugänglich machen. Im Rahmen unseres Vortrag werden wir daher ein Projekt vorstellen, in dessen Rahmen computergestützte Verfahren zur Erhebung und Auswertung von Bewegungsprofilen eingesetzt wurden. Ferner diskutieren wir die Vor- aber auch Nachteile dieses methodischen Zugangs.