Deine Chancen, meine Zwänge: Eine relationale Perspektive auf mobilitätsbezogene Benachteiligungen in autoabhängigen Räumen
Abstract
Die Fähigkeit zu selbstbestimmter Mobilität ist eine Grundvoraussetzung, um eine Vielzahl von Lebenschancen realisieren zu können. Sowohl Faktoren sozialer als auch räumlicher Ungleichheiten können sich benachteiligend auf diese Fähigkeit auswirken. Das Resultat dieser Zusammenhänge wird zumeist mit den Begriffen der Verkehrs- oder Mobilitätsarmut bezeichnet. Motiviert durch Feststellungen wie die Burkarts (1994, 224), dass das Auto „zur Grundausstattung eines vollwertigen Gesellschaftsmitgliedes“ gehöre, liegt den Überlegungen meines Vortrages folgende Fragestellung zugrunde: Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Autoverfügbarkeit und Lebenschancen in ländlichen Peripherien charakterisieren?
Um dieser Frage nachzugehen, analysierte ich die Alltagsmobilität von N = 30 Bewohner*innen ländlicher Peripherien, die aufgrund verschiedener Charakteristika (wie z.B. finanzieller Armut) einem erhöhten Risiko sozialer Benachteiligung ausgesetzt sind. Qualitative Interviews, GPS-Bewegungsdaten sowie ego-zentrierte Netzwerkdaten bildeten dabei die Datenbasis des methodenintegrativen Vorgehens. Eine zentrale These, die sich aus der Beschäftigung mit dieser Frage ergibt, ist, dass es nicht ausschließlich individuelle Eigenschaften (wie z. B. Einkommen) sind, die darüber entscheiden, inwiefern die Befragten über ein Auto verfügen und inwieweit sie in der Lage sind, sich selbstbestimmt fortzubewegen. Vielmehr entscheiden die Einbettung in ihr soziales Netzwerk sowie die darin verfügbaren Fähigkeiten und Notwendigkeiten zu Bewegungen – und damit auch die weiteren Autoverfügbarkeiten auf Netzwerkebene – grundlegend über mobilitätsbezogene Chancen und Zwänge. Somit können auch solche Personen benachteiligt sein, die klassischerweise nicht als ‚mobilitätsarm‘ charakterisiert werden würden.
Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen und in Anlehnung an mobilitätssoziologische Arbeiten (z. B. Manderscheid 2016) möchte ich in meinem Beitrag entlang empirischer Schlaglichter konzeptionell für eine relationale Perspektive auf Mobilität - und damit auch auf mobilitätsbedingte Benachteiligungen - plädieren. Für eine Verkehrs- bzw. Mobilitätswende gilt es daher, den beziehungsbedingten sowie beziehungsbedingenden Charakter des Autos systematisch(er) zu berücksichtigen. Eine relationale Perspektive auf Mobilitätsarmut hilft zudem, die breite gesellschaftliche Relevanz dieses Phänomens aufzuzeigen. So kommt eine Verbesserung der Möglichkeiten zu selbstbestimmten Fortbewegungen sozial benachteiligter Menschen nicht nur diesen selbst zugute, sondern sie reduziert auch Mobilitätszwänge in sozialen Netzwerken.
Referenzen
Burkart, Günter. 1994. „Individuelle Mobilität und soziale Integration. Zur Soziologie des Automobilismus.“ Soziale Welt 45 (2): 216–41.
Manderscheid, Katharina. 2016. „Mobile Ungleichheiten. Eine sozial- und infrastrukturelle Differenzierung des Mobilitätstheorems.“ Österreich Z Soziol 41 (1): 71–96. https://doi.org/10.1007/s11614-016-0192-z.