Dekommodifizierung der Wohnversorgung? Umkämpfte Instrumente und Praktiken in Wien

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 6
Autor*innen
Sarah Kumnig (WU Wien)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag analysiert aktuelle Prozesse der Kommodifizierung und Dekommodifizierung der Wohnversorgung in Wien, um Potentiale und Grenzen des Wiener Modells auf dem Weg zu einer sozial gerechteren, ökologischen und demokratischen Wohnversorgung auszuloten.

Abstract

Wien gilt als Paradebeispiel des dekommodifizierten Wohnbaus: Über 40% des Wohnungsbestandes sind in kommunalem oder gemeinnützigem Eigentum und Mietzinsbeschränkungen gelten in weiten Teilen des privaten Mietwohnungsmarktes. Dennoch ist auch die Wiener Wohnversorgung aktuell von einer wachsenden Leistbarkeitskrise geprägt. Um die Potentiale und Grenzen des Wiener Modells auf dem Weg zu einer sozial gerechteren, ökologischen und demokratischen Wohnversorgung auszuloten, analysieren wir aktuelle Prozesse der Kommodifizierung und Dekommodifizierung des Wohnens in Wien. Dabei verstehen wir (De‑)Kommodifizierung als Praktik und graduellen Prozess der Etablierung (bzw. Zurückdrängung) der Warenform. Indem der Doppelcharakter der Ware als Gebrauchs- und Tauschwert gefasst wird, ermöglicht das Konzept der Warenform, nicht nur das Objekt als solches, sondern die spezifische Erscheinungsform zugrundeliegender sozialer Verhältnisse in den Blick zu nehmen.

Im Konkreten identifizieren wir drei zentrale Instrumente der Kommodifizierung – Privateigentum, Wettbewerbspreis und Marktaustausch – und analysieren wie mittels dieser Instrumente die Warenform des Wohnens etabliert oder, durch ihr Zurückdrängen, destabilisiert wird. Diese Instrumente analysieren wir auf allen drei Ebenen der Wohnversorgung: Wir untersuchen (1) die Art und Weise der Herstellung von Gebrauchs- und Tauschwert in den Produktionsverhältnissen, (2) die Mechanismen, welche die Dominanz des Tauschwerts über den Gebrauchswert in den Austauschverhältnissen ermöglichen bzw. einschränken, und (3) innerhalb der Konsumverhältnisse die Implikationen der kommodifizierten bzw. dekommodifizierten Form der Wohnraumbereitstellung für die Befriedigung von Wohnbedürfnissen und für soziale Verhältnisse im Allgemeinen.

Der Beitrag nimmt, im Sinne des Housing Regime Ansatzes, sowohl Institutionen als auch soziale Praktiken und die Materialität des Wohnens in den Blick und basiert auf Analysen von wohnpolitischen Gesetzen und Regulierungen, 46 qualitativen Interviews mit gemeinnützigen Wohnbauträgern (20) und Wohnungssuchenden (26), sowie deskriptiven Statistiken zum Wiener Wohnungsmarkt.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Warenform durch wohnpolitische Maßnahmen und (unternehmerische) Praktiken, welche Privateigentum, Wettbewerbspreis und Marktaustausch zurückdrängen, destabilisiert werden kann. Beispiele dafür sind die Vergabe öffentlicher Flächen über Bauträgerwettbewerbe, welche den Gebrauchswert stärken indem hohe Standards in Bezug auf Qualität, Ökologie und soziale Aspekte des Wohnens vorgeschrieben werden. Außerdem werden durch die Vergabe im Baurecht und die neue Widmungskategorie geförderter Wohnbau, welche Obergrenzen für Bodenpreise politisch festlegt, private Eigentums- und Verwertungsrechte.