Der Tierfriedhof: Mehr-als-menschliche Aspekte der Geographien des Verlusts
Abstract
Der Tod eines Heimtiers ist meist eine individuell erlebte Krise. Für viele Menschen sind ihre Heimtiere wichtige Sozialpartner und werden als bedeutsame Familienmitglieder angesehen. In einer emotionalen Beziehung sind Heimtiere stark in das menschliche Leben integriert. Der Tod von Heimtieren ist für ihre Besitzer*innen dementsprechend oft eine tiefgreifende Verlusterfahrung – ganz anders als der Tod von Tieren, die als Nutztiere oder Wildtiere kategorisiert werden. Nach dem Tod werden manche Tierkörper unsichtbar gemacht, zum Beispiel durch die Verarbeitung in Tierkörperbeseitigungsanstalten. Bei anderen wird ihr zugeschriebener Subjektstatus und die emotionale Beziehung, die Menschen zu ihnen hatten (und über den Tod hinaus noch haben), explizit sichtbar gemacht. Raum dafür bietet unter anderem der Tierfriedhof.
Anliegen des Vortags ist es am Beispiel des Tierfriedhofs aufzuzeigen, wie Geographien des Verlusts aus einer mehr-als-menschlichen Perspektive betrachtet werden können. Dabei stehen im Sinne der mehr-als-menschlichen Geographien leibliche, affektiv erlebte Raumerfahrungen im Fokus.
Zunächst fällt jedoch auf, dass Verlustbearbeitung auf dem Tierfriedhof zutiefst menschlich geprägt ist. Menschliche Trauerrituale werden auf den tierlichen Kontext übertragen. Häufig findet dabei auch eine Vermenschlichung der Tiere statt, die sich zum Beispiel in personalisierten und mit Kosenamen versehenen Grabinschriften zeigt. Doch auch, wenn die von Menschen erlebte Verlusterfahrung den Tierfriedhof als Ort erst entstehen lässt und Prozesse der Verlustbearbeitung ihn in entscheidender Weise prägen, sind diese mit vielfältigen mehr-als-menschlichen Faktoren und Entitäten verwoben.
Das individuelle Erleben des Tierfriedhofs wird zum Beispiel beeinflusst von Gefühlen (Trauer, Dankbarkeit), Praktiken (Grabpflege, regelmäßige Besuche), damit verbundenen Materialitäten (Grabstein) oder Atmosphären (beeinflusst durch Licht, Geräusche). Auch übergeordnete Regeln (Friedhofsordnung), ökonomische Aspekte (Bestattungskosten, Pachtgebühr) oder gesellschaftliche Normen (Bestattungen nur für Heimtiere, nicht für anders-kategorisierte Tiere) sind wirkmächtige Einflussfaktoren.
Im Kontext der neuen Tiergeographie fragt der Vortrag, wie auch toten Tieren in ihrer Beziehung zu Menschen relationale Agency zugeschrieben werden kann. Denn die Emotionalität der Beziehung bleibt auch nach dem Tod des Tieres wirkmächtig und beeinflusst menschliches Fühlen und Handeln. Schließlich stellt sich aus einer mehr-als-menschlichen Perspektive die Frage, was am Beispiel des Tierfriedhofs für eine kritische Auseinandersetzung mit dualistischen Konzepten wie Kultur/Natur, Subjekt/Objekt und Mensch/Tier gelernt werden kann.