Die Entwicklung der Bahnachse Berlin–Szczecin als Impuls zur nachhaltigen, grenzüberschreitenden Entwicklung im ländlichen, deutsch-polnischen Verflechtungsraum

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 7
Autor*innen
Leonard Weiß (BTU Cottbus-Senftenberg)
Sunna Kovanen (BTU Cottbus-Senftenberg)
Peter Ulrich (Universität Potsdam)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag versteht den Ausbau der Bahnstrecke Berlin-Szczecin als Anstoß, um grenzüberschreitende Daseinsvorsorge neu zu denken. Dafür werden Ergebnisse einer qualitativen Netzwerkanalyse und eines medizinischen Versorgungsatlanten präsentiert.

Abstract

»In nur 90 Minuten von Berlin nach Szczecin«, versprechen aktuell große Plakate am Berliner Hauptbahnhof. Mit dem Streckenausbau rücken beide Städte bis 2025 zwanzig Minuten näher aneinander. Gleichzeitig kann dadurch auch der deutsch-polnische Verflechtungsraum weiter zusammenwachsen und grenzübergreifende Potentiale werden gestärkt. Häufig bleibt die Anbindung solch großer Verkehrsinfrastrukturprojekte in die Fläche trotzdem auf der Strecke und verändert nichts an der Zugänglichkeit lokaler Dienstleistungen der Daseinsvorsorge.

Im BMBF-Forschungsprojekt »Cross-InnoNet« (2022-2024) wird der Streckenausbau als möglicher Entwicklungsimpuls für die dazwischenliegenden, ländlich geprägten Regionen im Nordosten Brandenburgs verstanden. Der Untersuchungsraum ist gekennzeichnet von niedriger Bevölkerungsdichte, langen Pendeldistanzen und von schlechter Erreichbarkeit der zentralen Orte. Je näher die Züge der Grenze kommen, desto mehr sind diese Herausforderungen spürbar. Im Projekt untersuchen wir die medizinische Versorgungslage, das Mobilitätsverhalten und die Vernetzung beider Daseinsvorsorgebereiche entlang der Achse. Hintergrund sind die Fragen, wie und wo sich die Achsenentwicklung auf die Region auswirkt und wie sie in den peripheren Lagen einen Beitrag zu Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit in sozialem und räumlichem Kontext leisten kann.

Der Konferenzbeitrag beschreibt Vorgehensweise und Ergebnisse bei der Erforschung von Kooperationen, Barrieren und Potentialen in der deutsch-polnischen Daseinsvorsorge. Auf Basis einer qualitativen Netzwerkanalyse und eines medizinischen Versorgungsatlanten wird darauf eingegangen, wie eine nachhaltige Erreichbarkeit bei der Planung von Gesundheitsangeboten mitgedacht wird oder nicht und welche Lücken in grenzüberschreitenden Angebots- und Governancestrukturen bestehen. Dabei wird ein Fokus darauf gelegt, wie gute Planung und Zusammenarbeit ebenen‑, sektoren- und grenzüberschreitend gelingen kann und wo Kooperationen gestärkt werden müssen, um die Potentiale der infrastrukturellen Entwicklung auszuschöpfen.

Der Beitrag knüpft an die aktuellen regionalentwicklungsstrategischen Leitlinien der Brandenburger Staatskanzlei zur proaktiven Entwicklung entlang von Bahnkorridorachsen an. Es wird die These formuliert, dass die achsenfokussierte Entwicklung räumliche Disparitäten verstärken kann, wenn mit ihr kein sektorenübergreifendes und intermodales Handeln einhergeht. Es müssen auch Räume ohne unmittelbaren Anschluss an die Strecke mitgedacht und die Bedarfe der Bevölkerungsgruppen, die besonders auf auto- und barrierefreie Fortbewegung angewiesen sind, berücksichtigt werden, wenn Anreize zum Umstieg auf den Umweltverbund geschaffen werden und die Verkehrswende gelingen soll. Dafür gilt es, im Verflechtungsraum unterschiedliche Interessen und Verständnisse von Entwicklung, Erreichbar- und Nachhaltigkeit in Aushandlungsprozessen zu berücksichtigen und in gemeinsames Handeln zu übersetzen.