Die Funktion ostdeutscher Identitätskonstruktionen im Diskurs der extremen Rechten

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 3
Autor*innen
Thilo Wiertz (Universität Freiburg)
Friedrich Trautmann (Universität Freiburg)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag untersucht die Funktion ostdeutscher Identitätskonstruktionen im Diskurs der extremen Rechten anhand einschlägiger rechter Blogs.
Schlag­wörter
Politische Geographie, extreme Rechte, Diskurs, Ostdeutschland

Abstract

In Debatten um die Ursachen des Rechtsextremismus in der BRD spielt die spezifische Rolle Ostdeutschlands seit der Wiedervereinigung eine bedeutsame Rolle. Eine hohe Zahl rechter Gewalttaten und die Mobilisierungs- und Wahlerfolge von Bewegungen und Parteien wie Pegida, AfD und „Querdenken“ in Ostdeutschland rückten das „ostdeutsche Problem“ seit 2015 verstärkt in das Blickfeld sozialwissenschaftlicher und geographischer Untersuchungen. Ein Fokus liegt dabei auf historisch-bedingten sozialstrukturellen und kulturellen Prädispositionen für rechte Einstellungs- und Verhaltensmuster.

Kaum beachtet wurde bislang, welche Funktionen Verweise auf “Ostdeutschland” im Diskurs der extremen Rechten spielen, obwohl poststrukturalistische Ansätze die Bedeutung diskursiver Anrufungen für die Konstruktion von (völkischer) Identität und Differenz betonen. Aus diskursanalytischer Perspektive lässt sich fragen, welche Vorstellungen und Narrative über Ostdeutschland und „die Ostdeutschen“ im Diskurs der extremen Rechten produziert werden, welche Funktionen die diskursiven Verräumlichungen und Grenzziehungen innehaben und welche räumlichen Semantiken als Gegenstücke zum „Osten“ fungieren. Der Beitrag untersucht diese Fragen auf Grundlage einer qualitativen und quantitativen Analyse einschlägiger rechter Blogs.

Die Analyse zeigt, dass Attribute, die für rechte Gesellschaftsvorstellungen und Ideologien zentral sind, häufig auf “Ostdeutschland” und die “ostdeutsche” Bevölkerung projiziert werden. Letztere erscheint einerseits als passiver, stets unterdrückter Teil des deutschen Volkes, andererseits als aktives Subjekt des völkischen Widerstandes, das aufgrund der DDR-Erfahrung mit einem spezifischen Erkenntnispotential gegenüber vermeintlich diktatorischen Verschiebungen in der BRD ausgestattet ist. Die diskursive Differenzierung zwischen Ost- und Westdeutschland ergänzt so das Repertoire der kulturellen Grenzziehungen der extremen Rechten (eigen vs. fremd, deutsch vs. nicht-deutsch, Volk vs. Staat) und verweist auf die komplexe Widersprüchlichkeit rechter Ideologien.