Die Lähmung der kommunalen Mobilitäts- und Verkehrsplanung: Mikrotransformationskonflikte als Arenen von Nutzungsansprüchen an den öffentlichen Raum
Abstract
Politische Zielsetzungen für die sozial-ökologische Transformation erfolgen in erster Linie auf übergeordneten politischen Ebenen. Im Rahmen des Übereinkommens von Paris werden NDCs gestaltet und der European Green Deal sowie das Bundes-Klimaschutzgesetz sehen eine Reduktion von THG-Emissionen vor. Zugleich ist die Erreichung solcher Ziele auf die lokale Ebene angewiesen, die aufgrund der kommunalen Planungshoheit (§ 2 Abs. 1 BauGB) und verschiedener Subsidaritätsprinzipen (Art. 28 GG, Art. 84/85 GG, Art. 5 Abs. 3 EUV) wesentliche Umsetzungskompetenzen hat.
Infolgedessen hat z.B. die Europäische Kommission mit dem New EU Urban Mobility Framework Entwicklungspfade aufgezeigt, die den Mitgliedstaaten und deren Kommunen helfen sollen, diese Ziele zu erreichen. Während jedoch auf europäischer Ebene ein Bekenntnis zu den übergeordneten Zielen herrscht, formieren sich auf kommunaler Ebene aufgrund kultureller Hegemonien in der Stadtgesellschaft Mikrotransformationskonflikte, die einer Mobilitätswende im Wege stehen und eine Lähmung der Fachverwaltung nach sich ziehen.
Unter Mikrotransformationskonflikten verstehen wir solche Konflikte, bei denen der Widerstand zur nachhaltigen Umgestaltung öffentlichen Raums nicht unbedingt aus einer generellen, weltbildprägenden Gegnerschaft gegen eine sozial-ökologische Transformation folgt. Während letztere nicht selten gut organisiert ist und eine Art eigenes politisches Lager bildet (von „Vernunftkraft“ gegen die Energiewende bis hin zu „Dieselfahrer“-Aufklebern im Design des sog. Judensterns), entzünden sich Mikrotransformationskonflikte eher an einzelnen, sehr lokalen Maßnahmen, bei dem die Veränderung des Status Quo in der Nutzung des öffentlichen Raums als ungerechtfertigte Zumutung wahrgenommen wird, wie z.B. der Wegfall von Pkw-Stellplätzen oder die Einrichtung von durchgängigen Radverkehrsinfrastrukturen.
Innovations- und Transformationstheorien besagen, dass gelebte alternative Praktiken der Stadtgesellschaft zur Transformation normativer Ordnungen im Sinne von social tipping points beitragen (Ruhrort & Allert, 2021). Mikrotransformationskonflikte führen jedoch regelmäßig dazu, dass sich solche Praktiken auf lokaler Ebene gar nicht erst etablieren können und die Fachverwaltung schon auf der Ebene verhältnismäßig kleiner Maßnahmen gelähmt wird.
Wir schildern an kommunalen Beispielen aus Hessen exemplarische Mikrotransformationskonflikte. An diesen zeigen wir typische Akteur*innenkonstellationen einschließlich gängiger Reaktionen der Kommunalpolitik auf, präsentieren Interpretations- und Deutungsansätze und Fragen nach der Bedeutung dieses Konflikttyps für die Transformation des öffentlichen Raums in der Mobilitätswende.
Literatur:
Lisa Ruhrort und Viktoria Allert (2021): Conceptualizing the role of individual agency in mobility transitions - Avenues for the integration of sociological and psychological perspectives, Frontiers in Psychology, doi: 10.3389/fpsyg.2021.623652