Die Räumlichkeiten des Verlusts: Überlegungen anhand von Lost Places und Urban Exploration

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 7
Autor*innen
Aude Le Gallou (Universität Genf)
Kurz­be­schreib­ung
Dieser Vortrag befasst sich mit der Räumlichkeit des Verlusts anhand von verlassenen Orten und der dort stattfindenden Praktik der Urban Exploration. Sie mobilisiert Urban Exploration sowohl als Studienobjekt als auch als Forschungsmethode.

Abstract

Der Verlust verkörpert sich in zahlreichen räumlichen Prozessen: Zerstörung, Verlassenheit, Umbau, Renovierung, Wiederaufbau usw. Unter den räumlichen Formen, die sich aus diesen Dynamiken ergeben, weisen die sogenannten verlassenen Orte eine besondere Beziehung zum Begriff des Verlusts auf. Tatsächlich drückt das Verlassen einen Verlust aus, während es gleichzeitig eine Spur des Verlorenen bewahrt; es drückt eine Spannung zwischen Verschwinden und Fortbestehen aus. Dies beeinflusst die räumlichen Praktiken, die sich in dieser Art von Räumen entwickeln.

In diesem Vortrag wird anhand eines besonderen Raumtyps (sogenannte verlassene Orte) und einer besonderen Praxis (Urban Exploration oder Urbex) über die Art und Weise nachgedacht, wie sich Verlust im Raum ausdrückt. Der Vortrag stützt sich auf die Ergebnisse einer Doktorarbeit in Geographie, die sich mit Urban Exploration und ihren touristischen Variationen in Berlin und Detroit befasst, sowie auf eine langfristige Praxis des Urbex. Das Ziel ist ein doppeltes: zum einen soll die räumliche Dimension des Verlusts analysiert werden, zum anderen die Art und Weise, wie die räumlichen Praktiken mit dem Verlust in diesen Räumen umgehen.

Ein erster Schwerpunkt liegt auf der Charakterisierung des Verlusts oder vielmehr der verschiedenen Dimensionen des Verlusts, die in der räumlichen Verlassenheit eine Rolle spielen. Das Verlassen ist Ausdruck eines Funktionsverlusts, aber auch eines Verschwindens sozialer Aneignungen, eines materiellen Verfalls, einer Veränderung der mit dem Ort verbundenen Vorstellungen oder auch eines Verlusts an wirtschaftlichem und symbolischem Wert. Es wird gezeigt, dass der verlassene Ort in seiner Materialität selbst diese verschiedenen Aspekte des Verlusts artikuliert und zum Ausdruck bringt.

Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Analyse dieser Räume als Spuren, d. h. als das, was von dem Verlorenen übrig bleibt. Der verlassene Ort ist eine Spur und enthält auch Spuren (Artefakte, Inschriften usw.). Dieser Begriff der Spur ist zentral für spezifische räumliche Praktiken an verlassenen Orten wie Urban Exploration, wobei diese Orte oft illegal erkundet werden. Die Konfrontation mit der bzw. den Spur(en) ist dort sowohl eine Motivation für die Praxis (vor der Erkundung), ein Auslöser für spezifische Emotionen (während der Erkundung) als auch ein zentrales Element der für diese Praxis typischen Diskurse über Orte (nach der Erkundung). In dieser Hinsicht kann Urban Exploration zur Bewahrung dieser Spuren und zu einer kollektiven Verlustsbearbeitung führen.

Schließlich befasst sich ein dritter Schwerpunkt mit den Räumen des Verlusts als Matrizen für neue Formen der Raumaneignung. Urban Exploration ist ein Beispiel für eine räumliche Praxis, deren Entwicklung durch den Verlust bedingt ist, der sich in diesen Orten ausdrückt. Wir schlagen hier vor, den Verlust nicht als reines Verschwinden, sondern als einen Prozess zu betrachten, der auch kreative Potenziale aufweis