Die urbane Nachbarschaft als Abbild einer (dis)kohäsiven Gemeinschaft und Gesellschaft

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 12
Autor*innen
Angelina Göb (Leibniz Universität Hannover)
Kurz­be­schreib­ung
Nachbarschaften werden als sozialräumliche Einheit in ihrer Bedeutung für die Zusammenhaltskonstitution präsentiert. Anhand einer qualitativ-ethnographischen Untersuchung von Fallbeispielen aus Hannover zeige ich, wie (Dis)kohäsion gemeinschaftlich wie gesellschaftlich kontextualisert werden kann.

Abstract

Was hält „uns“ zusammen? Und wer ist bzw. bestimmt dieses „uns“? In meinem Beitrag setze ich das „uns“ in den sozialräumlichen Kontext Nachbarschaft. Anhand von zwei Fallbeispielen in Hannover untersuche ich qualitativ-ethnographisch, wie sich (welcher) Zusammenhalt im diversitätsgeprägten lokalen Nahraum konstituiert. Dafür zeichne ich manifeste Praktiken des Nachbarschaftens einerseits und latente Einstellungen zur Nachbarschaftlichkeit andererseits nach. Nachbarschaften machen – als Bezugsraum wie Bezugsgruppe – den wechselseitigen Zusammenhang zwischen sozialer und räumlicher Organisation von Gesellschaft so konkret, so elementar und unmittelbar erfahrbar wie kaum eine andere Form des menschlichen Zusammenlebens. Insofern gelten sie als „Keimzelle“ sozialer Kohäsion. Diese Metapher verweist wiederum auf ihre gemeinschaftliche Formierung – in Hinblick auf ihre Überschaubarkeit, ein Aus- und (Wieder‑)Erkennen, eine Identifikation von und mit dem Wohnumfeld und den Bewohner*innen. Entlang der bisher gewonnen Ergebnisse möchte ich aufzeigen, in welchen Zusammenhängen urbane Nachbarschaften eher gesellschaftliche, zweckrationale Konstrukte darstellen und wann diese als Gemeinschaft emotional er- und gelebt werden. Im Kontinuum eines solidarischen Miteinanders, indifferenten Nebeneinanders und konfliktreichen Gegeneinanders werden situative Zugehörigkeitszuschreibungen evident, welche die Komplexität wie Kontingenz in der Zuordnung personaler Kollektivität sichtbar machen. Dabei fällt auf, dass „die“ Nachbarschaft oftmals mit „dem“ Zusammenhalt gleichgesetzt wird und an eine Erwartungs-Erwartung geknüpft ist, die ein grundlegendes Vertrauen in andere schafft und dennoch Distanz wahrt. Alltagssprachlich sind beide Begriffe normativ aufgeladen und vergegenwärtigen das Bedürfnis nach Harmonie im Zusammenleben vor Ort. Was sich im Alltags(er)leben zeigt, kann – temporär wie ortsbezogen – aber auch destruktive, exklusivierende Formen annehmen. Nachbarschaft ist vordergründig also an eine Haltung der Handlungsbereitschaft gebunden, die auf Anfrage aktiviert, in eine Handlung umgesetzt werden kann und zur Gelegenheitsstruktur avanciert. Nachbarschaften wirken offenbar als Zentren der und für die Gemeinschaft, die über konkrete Begegnung(sorte) Zusammenhalt begreiflich und greifbar machen; sie erscheinen aber auch als Lokalität auf Gesellschaftlicher Basis, die über Aushandlungshandlungsprozesse Konflikte zu vermeiden versuchen.