Digitale Modelle und urbane Zwillinge: Ein Beispiel der Neuverhandlung und (Re)Produktion urbaner Realitäten

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 14
Autor*innen
Michelle Renz (HCU Hamburg)
Kurz­be­schreib­ung
Modellierungen und Digitale Urbane Zwillinge wirken performativ auf die Entwicklung von Raum und urbanen Zukünften ein und gelten als sozial konstruiert. Die Arbeit fokussiert unter diesem Aspekt die Entstehung von Digitalen Urbanen Zwillingen als aktiven Prozess der Aushandlung von (digitaler) Stadt zwischen Akteuren, Diskursen und Praktiken.

Abstract

Modellierungen und digitale Technologien werden für Städte immer wichtiger und werden als eine treibende Kraft in der Produktion von Stadt und Raum angesehen (vgl. Dodge und Kitchin 2004; Vadiati 2022). Insbesondere Digitale Urbane Zwillinge (DUT) haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Michael Batty stellt dabei die provokante Frage: „Is a twin a model or is a model a twin?” (Batty 2021: 2132).

Ein Modell ist nicht nur als bloße Darstellung der Realität zu verstehen, sondern vielmehr als treibende, performative Kraft, die die Realitäten formt (vgl. MacKenzie 2008). Das Konzept der Performativität besagt, dass jeder Diskurs auf das Subjekt oder die Systeme wirkt, welches er beschreibt (vgl. Callon 2006). Technologie, Code und Modelle sind niemals neutral, sondern sozial konstruiert, denn digitale Technologien „do not merely reflect cities, but actively frame and produce them; (…) they are (…) complex socio-technical systems infused with politics and context” (Kitchin et al. 2015: 30). Daher gilt es laut Kitchin zu untersuchen, wie digitale Technologien entwickelt werden, „the ways in which software is socially created; the nature of software itself; how discourse, practices, and knowledge get translated into algorithms and code” (Kitchin 2011: 946).

Die Erstellung von DUT ist ein aktiver Prozess, der von verschiedenen Akteuren, Aushandlungs-prozessen und Entscheidungen über Daten, Modelle und darüber, was einbezogen und was ausgeschlossen werden soll, geprägt ist. Meine Arbeit geht der Frage nach, wie Stadt in digitale Technologie(n) übersetzt wird und inwieweit eine Stadt als komplexes, sozial verflochtenes und vielschichtiges offenes System durch Code und Modelle digital repräsentiert werden kann. Die Arbeit konzentriert sich auf die Untersuchung der Entwicklung digitaler Zwillinge in ihrem lokalen Kontext: Wie entstehen digitale Zwillinge, wo und vom wem werden sie mit welchem Ziel umgesetzt? Dazu werden drei Elemente fokussiert, die den lokalen Kontext und damit die soziomaterielle Konstruktion widerspiegeln: Akteure, normative und kulturell-kognitive Institutionen (vgl. Raven et al. 2019). Die Technologie wird dabei als bidirektionale Schnittstelle gesehen, die Grenzen zwischen der digitalen Welt und der Stadt überbrückt. Daher ist es von zentraler Bedeutung, die Entwicklung von Rückkopplungen zwischen Technologie und ihren physischen Gegenstücken zu untersuchen (vgl. Lauriault 2017).

Einblicke in die Entstehung digitaler urbane Zwillinge ermöglichen ein Verständnis für Stadt als komplexes System und für normative Diskussionen: Wie gestaltet sich urbane digitale Transformation und wie werden damit wiederum vom wem welche urbanen Zukünfte und Narrative geprägt? Die Konstruktion von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen (digitalen) Räumen durch digitale Zwillinge stehen in meiner Arbeit dabei ebenso im Fokus, wie soziomaterielle und performative Aspekte von Modellierungspraktiken im urbanen und planerischen Alltag.