Digitale Restrukturierung von Handels-Wertschöpfungsketten und Auswirkungen auf räumliche Arbeitsteilung: Eine Studie der Wertschöpfungsketten von Inditex und H&M

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 2.101
Autor*innen
Kurz­be­schreib­ung
Dieser Beitrag untersucht, wie die digitale Integration der Wertschöpfungsketten von Inditex und H&M die räumliche Arbeitsteilung beeinflusst und welche Konsequenzen dies für die Beschäftigten hat.

Abstract

Digitale Technologien verändern aktuell Wertschöpfungsketten in allen Sektoren. Neue RFID-basierte digitale Supply Chain Management-Systeme ermöglichen es, Daten zu Arbeitsprozesse auf allen Stufen der Wertschöpfungskette – von der Produktion über die Logistik bis hin zum Verkauf – zu sammeln und auszuwerten, um Prozesse entlang der Kette stärker als bisher aufeinander abzustimmen. Ein wachsender Literaturkorpus setzt sich vor diesem Hintergrund mit dem Einfluss digitaler Restrukturierung von Wertschöpfungsketten auf Arbeitsprozesse und Arbeitsbedingungen auseinander. Der Fokus liegt dabei jedoch bisher vor allem auf neuen Formen digitaler Kontrolle und Arbeitsorganisation auf der Ebene der einzelnen Fabrik oder des einzelnen Logistikzentrums oder Stores, welche unter dem Stichwort des „Digital Taylorism“ breit diskutiert werden. Weniger Beachtung findet bisher in der Forschung hingegen die räumliche Restrukturierung der Arbeitsteilung im Kontext der digitalen Integration und Steuerung von Wertschöpfungsketten.

In diesem Beitrag untersuchen wir daher die räumliche Restrukturierung von Arbeitsprozessen in den Wertschöpfungsketten von zwei globalen Einzelhandelskonzernen der Modeindustrie: Inditex und H&M. Wir gehen dabei einerseits von der Prämisse aus, dass sich die digitale Integration von Arbeitsprozessen in die Wertschöpfungskette zeitlich und räumlich nicht gleichmäßig vollzieht. In welchem Maße unterschiedliche Standorte in Handel, Logistik und Produktion in die digitalen Supply Chain Management Systeme der Einzelhändler integriert sind, hängt dabei einerseits von den Investitionskapazitäten der Zulieferer in der Produktion sowie der Logistik-Dienstleister ab. Andererseits nutzen Inditex und H&M die digitale Integration der Wertschöpfungskette, um gezielt Waren- und Transportflüsse zu optimieren und (Arbeits‑)kosten zu reduzieren. So dezentralisiert H&M im Zuge der digitalen Wertschöpfungskettenintegration beispielsweise sein Logistiknetzwerk und leitet globale und europäische Warenströme zunehmend vom ehemals zentralen Logistikzentrum in Hamburg auf neue High-Tech-Logistikzentren in Polen um. Die digitale Restrukturierung von Wertschöpfungsketten ist somit eng verbunden mit einer Restrukturierung räumlicher Arbeitsteilung, die wiederum Konsequenzen für die Beschäftigten an den verschiedenen Standorten in der Wertschöpfungskette hat. Eine Frage, der wir in diesem Beitrag nachgehen, ist vor diesem Hintergrund, inwiefern eine Neustrukturierung von Tätigkeiten und der damit verbundenen Neubewertung von Qualifikation durch digitale Assistenz- und Delegationssysteme mit einer räumlichen Verlagerung von Tätigkeiten an Standorte mit niedrigerem Lohnniveau einher geht.

Unsere Untersuchung baut auf Daten aus qualitativen Interviews mit Industrieexpert*innen, Manager*innen, Betriebsrät*innen, Gewerkschafter*innen und Arbeiter*innen sowie aus Workshops mit gewerkschaftlichen Akteur*innen aus Mode-Einzelhandel, -Logistik und -Produktion auf.