Infrastrukturelle Imaginationen von 6G: „Digitale Souveränität“ in der Entwicklung von Mobilfunknetzen der fünften und sechsten Generation
Abstract
Im Rahmen der “Digitalen Dekade” der Europäischen Union sollen
Mobilfunknetze der 5. Generation (“5G”) ausgebaut, und bereits die
Grundlagen für die 2030 erwartete 6. Generation (“6G”) geschaffen
werden. Mithilfe von 900 Millionen EUR Förderung durch die EU soll “6G”,
neben höherer Bandbreite, geringerer Latenz und eingebetteter KI, auch
einen zentralen Beitrag zur “Digitalen Souveränität” Europas leisten.
Mein Beitrag widmet sich den “Infrastrukturellen Imaginationen” dieser
Next-Gen Mobilfunknetze, den “unterschiedliche Denkweisen darüber, was
Infrastrukturen sind, wo sie sich befinden, wer sie kontrolliert und was
sie tun” (Parks 2016). Ich betrachte ihre Vorstellungswelten um zu
verstehen, welche Figuren von Gemeinschaft aufgerufen werden oder in
Bewegung geraten, wenn europäische Souveränität zu einer Frage digitaler
Infrastruktur wird.
Im Schlagwort der “Digitalen Souveränität” drücken sich Ängste sowohl um
die geopolitische Lage der EU, als auch um die generelle Schwächung
(national)staatlicher Autorität aus (vgl. Pohle u. Thiel 2020).
Gleichzeitig betont es die zentrale Rolle von digitalen Infrastrukturen
in den aktuellen Machtarrangements und geopolitischen Konstellationen
(Musiani 2021, Bratton 2016). Mobilfunknetze sind ein wichtigerer Teil
dieser Infrastrukturen als oft angenommen: Seit der Einführung der
4G/LTE Standards basiert mobile Kommunikation, ob Stimme oder Daten,
fast vollständig auf Protokollen des Internets. In einem Prozess, den
Niels ten Oever als “telecomification” (2022) beschreibt, sind die
Netzwerke aus Masten und Antennen zunehmend mit den Unterseekabeln und
Rechenzentren des World Wide Web verschränkt. Die Ängste, die mit diesen
Verschränkungen einhergehen, lassen sich u. A. an den Bestrebungen,
chinesische Bauteile aus 5G-Netzwerken auszuschließen, ablesen. Der
Ausbau des 5G-Netzes, als auch die Entwicklung von 6G-Technologien bis
2030 werden von Deutschland und der EU daher als kritische Bereiche für
die infrastrukturelle Produktion von “digitaler Souveränität” verhandelt.
Entgegen einem Verständnis von Souveränität als tatsächlich zu
bestimmenden Verhältnis, möchte ich mich “digitaler Souveränität”
zunächst als diskursiver Figur widmen (vgl. Bonilla 2017), welche Regime
der Differenz entlang verschiedener Vorstellungen der Gemeinschaft und
ihres Verhältnisses zueinander produziert - so z.B. des éthnos, d.h. des
“Volkes” im Sinne einer imaginären Gemeinschaft der Abstammung und
Zugehörigkeit, und des demos, d.h. des “Volkes” im Sinne einer politisch
definierten Gemeinschaft des öffentlichen Gesprächs und des Ausgleichs
von Konflikten und Interessen (Balibar 2004). Auf Grundlage von
kulturanthropologischer Forschung und erster empirischer Daten zu 5G und
6G-Projekten (Expert:innen-Interviews, ethnographische Feldforschung,
Dokumentanalysen) stelle ich dazu die infrastrukturellen Imaginationen
um 5G und 6G dar, und untersuche die Figurationen von Gemeinschaft,
welche den Ausbau digitaler Infrastrukturen gegenwärtig prägen.