Infrastrukturelle Imaginationen von 6G: „Digitale Souveränität“ in der Entwicklung von Mobilfunknetzen der fünften und sechsten Generation

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 3
Autor*innen
Alexander Harder (Humboldt-Universität zu Berlin)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag untersucht die "infrastrukturellen Imaginationen" welche den Ausbau und die Entwicklung neuer Mobilfunknetze prägen, um zu verstehen, welche Figuren von Gemeinschaft mit dem Streben nach "Digitaler Souveränität" verbunden werden.

Abstract

Im Rahmen der “Digitalen Dekade” der Europäischen Union sollen

Mobilfunknetze der 5. Generation (“5G”) ausgebaut, und bereits die

Grundlagen für die 2030 erwartete 6. Generation (“6G”) geschaffen

werden. Mithilfe von 900 Millionen EUR Förderung durch die EU soll “6G”,

neben höherer Bandbreite, geringerer Latenz und eingebetteter KI, auch

einen zentralen Beitrag zur “Digitalen Souveränität” Europas leisten.

Mein Beitrag widmet sich den “Infrastrukturellen Imaginationen” dieser

Next-Gen Mobilfunknetze, den “unterschiedliche Denkweisen darüber, was

Infrastrukturen sind, wo sie sich befinden, wer sie kontrolliert und was

sie tun” (Parks 2016). Ich betrachte ihre Vorstellungswelten um zu

verstehen, welche Figuren von Gemeinschaft aufgerufen werden oder in

Bewegung geraten, wenn europäische Souveränität zu einer Frage digitaler

Infrastruktur wird.

Im Schlagwort der “Digitalen Souveränität” drücken sich Ängste sowohl um

die geopolitische Lage der EU, als auch um die generelle Schwächung

(national)staatlicher Autorität aus (vgl. Pohle u. Thiel 2020).

Gleichzeitig betont es die zentrale Rolle von digitalen Infrastrukturen

in den aktuellen Machtarrangements und geopolitischen Konstellationen

(Musiani 2021, Bratton 2016). Mobilfunknetze sind ein wichtigerer Teil

dieser Infrastrukturen als oft angenommen: Seit der Einführung der

4G/LTE Standards basiert mobile Kommunikation, ob Stimme oder Daten,

fast vollständig auf Protokollen des Internets. In einem Prozess, den

Niels ten Oever als “telecomification” (2022) beschreibt, sind die

Netzwerke aus Masten und Antennen zunehmend mit den Unterseekabeln und

Rechenzentren des World Wide Web verschränkt. Die Ängste, die mit diesen

Verschränkungen einhergehen, lassen sich u. A. an den Bestrebungen,

chinesische Bauteile aus 5G-Netzwerken auszuschließen, ablesen. Der

Ausbau des 5G-Netzes, als auch die Entwicklung von 6G-Technologien bis

2030 werden von Deutschland und der EU daher als kritische Bereiche für

die infrastrukturelle Produktion von “digitaler Souveränität” verhandelt.

Entgegen einem Verständnis von Souveränität als tatsächlich zu

bestimmenden Verhältnis, möchte ich mich “digitaler Souveränität”

zunächst als diskursiver Figur widmen (vgl. Bonilla 2017), welche Regime

der Differenz entlang verschiedener Vorstellungen der Gemeinschaft und

ihres Verhältnisses zueinander produziert - so z.B. des éthnos, d.h. des

“Volkes” im Sinne einer imaginären Gemeinschaft der Abstammung und

Zugehörigkeit, und des demos, d.h. des “Volkes” im Sinne einer politisch

definierten Gemeinschaft des öffentlichen Gesprächs und des Ausgleichs

von Konflikten und Interessen (Balibar 2004). Auf Grundlage von

kulturanthropologischer Forschung und erster empirischer Daten zu 5G und

6G-Projekten (Expert:innen-Interviews, ethnographische Feldforschung,

Dokumentanalysen) stelle ich dazu die infrastrukturellen Imaginationen

um 5G und 6G dar, und untersuche die Figurationen von Gemeinschaft,

welche den Ausbau digitaler Infrastrukturen gegenwärtig prägen.