Essen ist politisch! Food Movements und ihre Forderungen für ein nachhaltigeres und sozial-gerechteres Ernährungssystem
Abstract
Überall auf der Welt protestieren soziale Bewegungen gegen das corporate food regime (Friedman & McMichael, 1989) und fordern eine sozial-ökologische Transformation. Dabei sind Forderungen nach Veränderung des Agrar- und Ernährungssystems zahlreich und vielseitig: Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in globalen Wertschöpfungsketten, lokale Lebensmittelengpässe und Ernährungsunsicherheit – vielerorts verschärft durch die Folgen der Covid-19-Pandemie, Klimanotstand und den Russischen Angriffskrieg in der Ukraine – machen das Thema zu einem Teil globaler politischer Debatten. Diese konzentrieren sich jedoch nicht nur auf die Nahrungsmittelknappheit, Inflation und Ernährungsarmut. Weltweit gibt es viele Versuche praktische Lösungen für strukturelle Probleme im Lebensmittelsystemen zu finden. So finden sich in Deutschland beispielsweise; (1) Solidarische Landwirtschaft, (2) agrarökologische Netzwerke, oder auch (3) Alternative Lebensmittelnetzwerke. Solche heterogenen Food Movements (Motta, 2021) bieten einen guten analytischen Blickwinkel, um die multiplen und intersektionalen Dimensionen der Ungleichheiten im Ernährungsbereich zu erforschen (Motta, 2021). Sie verbinden Forderungen nach Ernährungsdemokratie, Ernährungssouveränität und Ernährungsgerechtigkeit und leisten Widerstand gegen die dominanten deregulierten Strukturen der kapitalistischen, postkolonialen, epistemischen und anthropozentrischen Ausbeutung und Gewalt (Holt Giménez & Shattuck, 2011; Holt-Gimenez & Patel, 2012). Ausgehend von konkreten und lokalen Praktiken setzen sie sich für ein demokratisches, gerechtes und nachhaltiges Ernährungssystem im Hier und Jetzt und in der Zukunft ein (Jarosz, 2014). Sie nutzen dabei nicht nur traditionelle Formen des Protests wie Demonstrationen und Kampagnen, sondern auch alltägliche Praktiken und alternative Formen des Wirtschaftens prägen ihr Repertoire (Fladvad, 2018). Diese basieren häufig auf einer gerechteren und gemeinschaftsbasierten Produktion, Verteilung und Zuweisung von Lebensmitteln und weisen der Nahrung eine wesentliche Rolle als verbindendes Element zwischen Menschen, aber auch für Menschen-Natur-Beziehungen zu (Wichterich, 2002; Mölders, 2019).
Der empirische Fall des Netzwerks der Ernährungsräte bietet hier spannende Perspektiven, um Theorien aus der kritischen Geografie, den Food Studies und der Nachhaltigkeitsforschung mit feministischen Konzepten von Care und Raum-Beziehungen zu diskutieren. Das Netzwerk ist ein relevanter Akteur in der sozialen Mobilisierung rund um Lebensmittel in Deutschland. Forderungen und Praktiken der einzelnen Ernährungsräte sind jedoch sehr unterschiedlich und lokal situiert. Insbesondere die Unterschiede zwischen den politischen Subjekten und Repertoires in Bezug auf Skalen (Urbanität, Ländlichkeit/lokal und regional), Sphären (digital, analog), strukturelle Kräfte und Intersektionalität sollen hier als Analyseachsen anhand des Beispiels des Berliner Ernährungsrates genauer untersucht werden.