Finanzialisierung und Verdrängung auf den Immobilienmärkten in Garmisch-Patenkirchen, Oberstdorf und Berchtesgaden: Qualitätsorientierter Tourismus als Treiber ländlicher Gentrifizierung?

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
SH 2.104
Autor*innen
Jacob Heuser (KU Eichstätt-Ingolstadt)
Frank Zirkl (KU Eichstätt-Ingolstadt)
Kurz­be­schreib­ung
Während Auswirkungen der Immobilienspekulation, Finanzialisierung und Gentrifizierung sowie Einflüsse der Sharing Economy bisher vor allem im urbanen Raum für Aufmerksamkeit gesorgt haben, beschäftigt sich dieser Vortrag explizit mit diesen Herausforderungen in tou-ristisch geprägten Gemeinden in ländlichen Räumen der Bayerischen Alpen.
Schlag­wörter
Touristifizierung, ländliche Gentrifizierung, Postwachstum, Raumplanung

Abstract

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verhältnis zwischen Tourismus und anderen Formen der freizeitorientierten Mobilität von Personen und Kapital, beispielsweise Zweitwohn-sitztourismus, Altersmigration, spekulatives Investment, grundlegend verändert (Sheller & Urry 2006; Hall & Müller 2018; Rainer & Morales 2014; Rainer 2016, 2019). Auch in touris-tisch bedeutenden kleineren Städten sowie in ländlichen Regionen sind Umstrukturierungs-prozesse durch die Zunahme unterschiedlicher freizeitorientierter Mobilitätsformen sowie durch den Bedeutungsgewinn touristisch genutzter Wohnimmobilien als Kapitalanlage feststellbar. Die Orte Garmisch-Patenkirchen, Oberstdorf und Berchtesgaden sind von diesen Problemen betroffen, unterscheiden sich allerdings im Detail erheblich. Garmisch-Patenkirchen hat in den letzten Jahren im Ferienwohnungssegment einen enormen Zuwachs erfahren, der sich nicht durch touristische Weiterentwicklung erklären lässt. Potenziell erzielbare Mehrrendite bei einer (touristischen) Kurzvermietung im Vergleich zur Dauerver-mietung sind hierfür eine Erklärung. Diese Einkünfte werden als Finanzierungselement benötigt, um bei Neu- und Umbauten die deutlich gestiegenen Immobilienpreise und Baukos-ten auszugleichen (Kors et al. 2022). In Oberstdorf (ähnlich wie in Berchtesgaden) ist das touristische Angebot traditionell durch einen sehr hohen Anteil privater Vermieter*innen gekennzeichnet, so dass sich keine Zuspitzung im Sinne einer deutlichen Zunahme von Feri-enwohnungen oder Zweitwohnsitzen beobachten lässt. Die Anspannung auf dem lokalen Immobilienmarkt ist dadurch begründet, dass eine geringe Verfügbarkeit von (leistbaren) Wohnimmobilien und Bauland, auch bedingt durch eine historisch festgelegte Begrenzung des Flächenwachstum, mit einer Preisdynamik zusammenkommt, deren Spitzen mit denen in Großstädten wie Hamburg oder München vergleichbar sind. Jüngst gibt es zusätzlich das starke Bestreben externer Investor*innen, Immobilien zu erwerben, wofür sie bereit sind, Preise weit über dem lokalen Gefüge zu bezahlen. Aus dieser Zuspitzung resultiert eine Verknappung von Wohnraum sowohl für die lokale Bevölkerung als auch die im Tourismus be-nötigten Arbeitskräfte. Im Rahmen des Vortrags werden diese Entwicklungen hinsichtlich konzeptioneller Überlegungen zu Finanzialisierungs- und Verdrängungsprozessen (Belina 2022; Mießner & Naumann 2022) diskutiert und somit ein Beitrag zu dem Diskurs um ländliche Gentrifizierung geleistet. Anschließend wird die Frage gestellt, mit welchen nachhaltig-transformativen Konzepten die kommunale Politik auf die Herausforderungen in ihren Gemeinden reagieren kann. Untermauert durch empirische Forschung zu gesetzlichen Regulationsansätzen, wird die Wirksamkeit raumplanerischer Instrumente in der Konfrontation mit den konkreten lokalen Rahmenbedingungen diskutiert und Chancen einer Raumplanung im Zeichen des Postwachstums touristischer Alpengemeinden skizziert (vgl Schmid et al. 2020; Fletcher et al. 2021)