Flânieren in hybriden Stadträumen zwischen analogen und digitalen Realitäten
Abstract
Die Wechselwirkung von Technologie und Gesellschaft prägt den urbanen Alltag, die Grenzen zwischen analogen und digitalen Welten scheinen sich aufzulösen. Ein neuer hybrider, von Mobilität und ständiger Vernetzung geprägter Raum ist entstanden. Dieser Raum wird aber immer noch oft in Dichotomien, wie real und virtuell, gedacht, was wiederum ein Verständnis des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels in der heutigen Stadt erschwert. Konzepte wie Hybridität und der Begriff des „third space“ („Drittraum“), wie von Homi K. Bhaha oder auch Donna Haraway, bieten dagegen die Chance, diese getrennte Vorstellung zu überwinden, da sie außerhalb von Dichotomien funktionieren und das Neuentstandene in den Fokus rücken.
Um den abstrakten theoretischen Raum besser (be)greifbar zu machen, habe ich die Methode des Third Space Walk erarbeitet. Die Methode ist stark beeinflusst von der Flânerie, basierend auf Walter Benjamins Werk. Zudem wurden weitere bekannte Praktiken des Gehens einbezogen, wie die Psychogeografie oder die Spaziergangswissenschaften, aber auch (queer‑)feministische und postkoloniale Perspektiven. Auf diese Weise wurde die Dekonstruktion des weißen männlichen Flâneurs vorangetrieben und sowohl Diskriminierungen als auch Privilegien sichtbar gemacht. Zugleich wird der Third Space Walk, wie auch das Flânieren, nicht als reines Gehen verstanden, sondern als ein Prozess, der Beobachten, Sich Verlieren, das Speichern flüchtiger (Sinnes)Eindrücke in der Stadt, deren Verarbeitung, Reflexion und Darstellung von – wenn vielleicht auch nur fragmenthaften – Ergebnissen beinhaltet. Im Rahmen von Seminaren, Workshops und einem Open Call habe ich Frauen* in Berlin und Mexiko-Stadt eingeladen den Third Space Walk alleine auszuprobieren, sich auszutauschen und gemeinsam die Ergebnisse in einer Ausstellung zu zeigen. Diese wurde im August 2022 in Berlin gezeigt und ist hier einsehbar: https://thirdspacewalk.mirjana-mitrovic.de/
Bei dieser Forschung liegt der Fokus auf der Dreiecksbeziehung von Körper, Raum und digitalen Technologien, um den Drittraum und was er für die, die ihn begehen bedeutet, analysieren zu können. Die Methode mit dem Bewusstsein anzuwenden, sich durch einen Drittraum zu bewegen, hat Barrieren im urbanen Raum sichtbar gemacht, aber auch neue Möglichkeiten eröffnet, bspw. wie sich beim ungeplanten Gehen vorgegebenen Logiken, wie Algorithmen, widersetzt werden kann. Zudem vollzogen die Teilnehmer*innen als Flâneusen einen performativen Akt. Sie veränderten ihre Wahrnehmung, aber auch die der Menschen um sie herum und griffen damit direkt in das Stadtbild ein. Die virtuellen und physischen Räume zusammen zu denken und zu begehen, ermöglicht dabei auch eine neue Perspektive, um zukünftige Digitalisierungsprozesse zu verstehen, zu diskutieren und zu beeinflussen.