Gekränkte Gleichheit: Karzerale Logiken in Zeiten fortgeschrittener Individualisierung
Abstract
Raum ist ein zentrales Aushandlungsfeld sozialer Konflikte. Dennoch bleiben im deutschsprachigen Raum Soziologie und Politikwissenschaften die Kerndisziplinen, die zeitdiagnostische Einordnungen bezüglich der großen Fragen unserer Gesellschaft bieten – z.B. bezüglich des Rechtsrucks und Aufstiegs von Querdenker*innen, der Politisierbarkeit drängender Probleme wie dem Klimawandel und Postwachstumsalternativen oder der Schwäche der Linken. Der Beitrag geht davon aus, dass Geographie mehr „kann“, als räumliche Nuancierung zu ergänzen. Am Beispiel raumbezogener Konflikte um das aufgeladene Feld der Sexualität, bringt er geographische Machtanalyse und soziologische Zeitdiagnostik zusammen. Er zeigt, dass in der „regressiven Moderne“ und „Abstiegsgesellschaft“ (Oliver Nachtwey) nicht nur einst alternative Milieus Richtung eines „libertären Autoritarismus“ (Amlinger/Nachtwey) “driften” und neue “Querfronten” bilden, sondern auch die verbleibende Linke sich wandelt: Statt einer Redefinition von Freiheit steht hier eine Verdinglichung von Gleichheit im Zentrum des Wandels. Gerade in Aushandlungen um sexualisierte Gewalt zeigt sich, wie fortgeschrittene Individualisierung und Ohnmachtsgefühle hinsichtlich Strukturveränderung im diskursiven Kollabieren von Subjekt und Struktur münden. Der Gerechtigkeitsanspruch neuer „idealer Opfer“ (Nils Christie) wird eigentumsartig an eine zugleich essentialistisch fixierte Subjektposition gebunden (z.B. indem „Definitionsmacht“ an ein Geschlecht oder eine Ethnie gekoppelt oder Sprecher*innenpositionen Marginalisierter mit Wahrheitsansprüchen belegt werden). Dies gibt neben community-care-orientierten Lösungen, auch Reaktionsmustern Auftrieb, die auf individualisierten Schuldzuschreibungen ruhen (wie z.B. räumliche Ausschlüsse oder staatliches Strafen).