Geographie und Kolonialität: Koloniale Themen im Verein für Erdkunde zu Halle am Ende des 19. Jahrhunderts

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 4.107
Autor*innen
Stefan Knauss (MLU Halle-Wittenberg)
Daniel Watermann (MLU Halle-Wittenberg)
Kurz­be­schreib­ung
Welche Rolle spielte die Geographie im kolonialen Projekt des deutschen Kaiserreichs? Der Beitrag analysiert die Mittheilungen des Vereins für Erdkunde zu Halle/S. aus einer dekolonialen Perspektive und verortet dessen Protagonisten im kolonialen Diskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Schlag­wörter

Abstract

Koloniale Themen spielten im 1873 gegründeten Verein für Erdkunde eine große Rolle. Sie wurden in der Zeitschrift des Vereins den Mittheilungen des Vereins für Erdkunde zu Halle/S. , auf Vereinsabenden und in Büchern von Vereinsmitgliedern diskutiert.

Die Autoren der „Mittheilungen“ veröffentlichten im Zeitraum von 1877 (Bd. 1) bis 1887 (Bd. 11) Artikel, die aus der heutigen Perspektive auf den Kolonialismus interessant sind. Vor allem in Bezug auf Australien, Afrika und Lateinamerika wurden rund 20 Texte angefertigt, die Elemente einer rassialisierten Selbstreflexion sowie rassialisierender Fremdbeschreibung enthalten. Überliefert sind eine anatomische Studie, Texte über missionarische Bildungseinrichtungen, Studien zu Sprache und Lebensweisen von kolonialisierten Menschen. Im Wilhelminischen Kaiserreich verschwand das Thema Kolonien weitgehend aus den „Mittheilungen“, blieb aber bestimmend bei den Vereinsversammlungen. Bekannte Mitglieder des Vereins publizierten zudem Bücher mit starkem Bezug zu kolonialen Fragen.

Im Mittelpunkt des vorgeschlagenen Beitrags steht die Frage nach der Rolle des hallischen Vereins für Erdkunde bei der Entwicklung kolonialer Narrative sowie damit verbundener Fremd- und Selbstzuschreibungen vom Standpunkt dekolonialer Theorie der Gegenwart. Er ordnet sich damit in die postkoloniale Diskussionen des Zusammenhangs von Geografie als Wissenschaft und der Ausformung kolonialer Stereotype, Politiken und Praktiken ein.

Eingeleitet wird der Beitrag mit einer kurzen Beschreibung der gesellschaftlichen Vernetzung und Aktivitäten des Vereins. Im Zentrum steht daran anschließend zum einen die ausführliche Analyse der relevanten Texte aus den „Mittheilungen“ sowie der überlieferten Berichte von Vereinsversammlungen im Kaiserreich. Zum anderen werden Bücher von Alfred Kirchhoff (1838 1907, langjähriger Vorsitzender des Vereins und Vorstandsmitglied des Deutschen Kolonialvereins), Karl Emil Jung (1833 1902, außerordentliches Vereinsmitglied, Publikationen zu Ozeanien und deutschen Kolonien) sowie Karl von Scherzer (1821 1903, korrespondierendes Vereinsmitglied, Texte zu Nord- und Mittelamerika und Asien) in den Blick genommen.