[ABGESAGT] Grundrechte und Heimerziehung: Räume der Partizipation? Aushandlungsprozesse in Hessen 1970-1990

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 5
Autor*innen
Nadine Schmidt (Universität Kassel)
Kurz­be­schreib­ung
In der Reformzeit der deutschen Heimerziehung der 1970er und 1980er Jahre zeigen sich Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Akteur*innen. Anhand von Archivmateriel und Zeitzeug*inneninterviews werden Konstruktionen von Räumen der Partizipation und Mitbestimmung herausgearbeitet.
Schlag­wörter
Raumkonstruktionen, Heimerziehung, sozialer Wandel, Partizipation

Abstract

Nach Henri Lefebvre ist Raum ein gesellschaftliches Produkt, das sich in einem andauernden intersubjektiven (Re‑)Produktionsprozess befindet. Zur Analyse dieses Prozesses schlägt er eine dialektische Betrachtung verschiedener Dimensionen von sozialem Raum vor, die materielle und symbolische Aspekte mit gelebten Praktiken und subjektiven Wahrnehmungen verbindet. Durch diese analytische Aufschlüsselung von Raum treten Diskontinuitäten im Prozess der Raumproduktion zu Tage, die insbesondere für die Analyse von (historischen) Transformationsprozessen fruchtbar gemacht werden können. Daran anschließend steht im vorliegenden Beitrag ein empirisches Beispiel zu Transformationsprozessen in der hessischen Heimerziehung der 1970er und 1980er Jahre im Zentrum.

Bereits Anfang der 1960er Jahren zeigte sich in Hessen eine reformpolitische Haltung des Landesjugendamtes. Befördert durch die sogenannte Heimkampagne 1969 entstand der Beschluss „Grundrechte und Heimerziehung“, der 1972 als Erlass des hessischen Sozialministeriums veröffentlicht wurde. Er konstituierte Kinder und Jugendliche grundsätzlich als mündige Individuen mit dem Recht auf eigene Meinung und Selbstentfaltung. Im Anschluss daran organisierte das Landesjugendamt ein jährlich stattfindendes Seminar zum Thema, an dem sowohl in Heimerziehung untergebrachte Kinder und Jugendliche wie auch die in Institutionen Beschäftigten teilnahmen. Damit brachte sich das Landesjugendamt aktiv in einen Prozess der Transformation der Praktiken in der Heimerziehung ein, der Teil einer grundsätzlichen Debatte zu Kindern und Grundrechten in Westdeutschland war.

Obwohl die 1970er und 1980er Jahre als eine Reformzeit der Heimerziehung gelten, mussten neue Haltungen gegenüber untergebrachten Jugendlichen zwischen verschiedenen Akteur*innen erst ausgehandelt werden. Der Beitrag folgt diesen Aushandlungsprozessen und arbeitet mit raumanalytischer Perspektive die Konstruktionen von Räumen der Mitbestimmung und Partizipation in der Heimerziehung heraus. Die qualitative Analyse basiert auf Archivmaterial sowie auf Expert*inneninterviews des laufenden Forschungsprojekts „Die Aushandlung von Erziehungsräumen in der Heimerziehung 1970-1980“ an der Universität Kassel.

Literatur:

Arbeitsgruppe Heimreform (2000). Aus der Geschichte lernen: Analyse der Heimre-form in Hessen (1968-1983), Frankfurt/M: Eigenverlag IGfH.

Belina (2013): Raum: zu den Grundlagen eines historisch-geographischen Materialismus, Münster: Westfälisches Dampfboot.

Lefebvre, H. (1991[1974]). The production of space, Oxford: Blackwell.

Ronneberger, Vogelpohl (2018): Henri Lefebvre: Die Produktion des Raumes und die Urbanisierung der Gesellschaft, In Oßenbrügge, Vogelpohl (Hrsg.): Theorien in der Raum- und Stadtforschung, Münster: Westfälisches Dampfboot.