Gutes Leben im Anthropozän: Utopien im Kontext zukunfts- und ethiksensibler Ansätze der Geographiedidaktik
Abstract
Utopien sind immer auch räumlich gedachte Entwürfe von als wünschenswert erachteten Staats‑, Gesellschafts- und Lebensformen. Sie extrapolieren aus zeitgenössisch wahrgenommenen Herausforderungen und Problemlagen in die Zukunft und stellen das Entworfene im Vergleich zum Status quo als positiv dar. Dies impliziert eine Kritik an aktuellen Verhältnissen sowie normative Verbesserungsvorschläge für eben diese.
Die für das Utopiekonzept wichtige Orientierung hinsichtlich Räumlichkeit stellt eine Einladung für die Geographie(didaktik) dar, die – im Vergleich zu anderen utopie-affinen Fächern wie der Philosophie, der Politologie oder Literaturwissenschaften – eine erhöhte Raumexpertise aufweist und Utopien verstärkt hinsichtlich Gesellschaft-Umwelt-Beziehungen fassen kann. Dabei schärft die explizit normative Ausrichtung des Utopischen die in den letzten Jahren immer wichtiger gewordene ethische Orientierung von Geographiedidaktik und -unterricht. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn man die Ethik in antiker Tradition als eine Beschäftigung mit der Frage nach dem guten Leben betrachtet.
Außerdem erlaubt die Zukunftsorientierung des utopischen Denkens einen Anschluss weitere aktuelle, normativ orientierte vieldiskutierte Konzepte in den Bildungswissenschaften und insbesondere in der Geographiedidaktik. Utopisches Denken kann Teil einer transformativen Bildung sein, deren Ziel es ist, Verständnis für Handlungsmöglichkeiten und Lösungsansätze im Rahmen des Anthropozäns und aktueller sozial-ökologischer Transformationen zu schaffen. Dabei kann die kritische Auseinandersetzung mit und das Entwerfen von Utopien die generelle Fähigkeit befördern, die Rolle von Zukunft in unserem alltäglichen Wahrnehmen, (Werte‑)Reflektieren und Handeln stärker zu integrieren (Futures Literacy).
Neben einem kurzen Blick auf genannte Anschlussstellen unter besonderer Berücksichtigung der ethischen Dimension fokussiert der Beitrag Umsetzungsmöglichkeiten der „utopischen Bildung“ im Unterricht. Dabei wird ein bereits erprobtes und derzeit weiterentwickeltes Unterrichtssetting zu Zukunftsvisionen im Rahmen des gymnasialen Geographieunterrichts vorgestellt und hinsichtlich unterrichtspraktischer Potentiale und Herausforderungen diskutiert. Schwerpunkte der Unterrichtssequenz bilden die kritische Auseinandersetzung mit utopischen (z.T. heterotopischen) Entwürfen, die Gestaltung eigener Zukunftsvisionen sowie die geographisch-normative Reflexion dieser.