„Ich weiß, dass es viele abschreckt, wie ich wohne": Die Bedeutung normativer Vorstellungen guten Wohnens in Wohnstandortentscheidungen

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 5
Autor*innen
Aura Moldovan (Thünen-Institut)
Heike Peter (Thünen-Institut)
Cornelia Tippel (ILS)
Kurz­be­schreib­ung
Bei Wohnstandortentscheidungen werden persönliche Präferenzen und Relevanzsetzungen gegen bestehende überindividuelle Faktoren abgewogen. Ergebnisse aus dem KoBaLd-Projekt zeigen die bedeutendsten Gründe für eine Wanderung in städtische und ländliche Räume und die damit verbundenen normativen Vorstellungen eines guten Wohnens.
Schlag­wörter
Wohnstandortentscheidungen, Binnenwanderungen, Stadt, Land

Abstract

Jährlich wechseln innerhalb Deutschlands knapp vier Millionen Menschen ihren Wohnort. In der Wohnmobilitäts- und Wanderungsforschung wurden die Beweggründe für diese Wanderungen umfassend analysiert (z. B. Coulter u. Scott 2015), allerdings weitgehend auf „rationale“ Auslöser wie Ereignisse im Lebensverlauf reduziert. Wir verstehen Wohnstandortentscheidungen umfassender als wiederkehrende und veränderbare Entscheidungen, die im Kontext biographischer Erfahrungen, subjektiver Deutungen, ökonomischer und kultureller Ressourcen, normativer Überzeugungen sowie sozialer Einbettungen getroffen werden, von vorherigen Wohn- und Mobilitätserfahrungen sowie situativen und emotionalen Aspekten beeinflusst und zugleich in die Zukunft gerichtet sind (Peter, Tippel u. Steinführer 2022, 117).

Hinter den Gründen für Wohnstandortentscheidungen stehen in einem psychologischen Verständnis u.a. normative Überzeugungen (Fishbein u. Ajzen 2010) eines „guten Wohnens“, wie z. B. das Leben mit Kindern im „Grünen“. Diese können sich je nach Lebensphase, sozioökonomischem Status und den Raumvorstellungen von städtisch oder ländlich unterscheiden. Personen, die eine Wohnstandortentscheidung treffen, können diesen Normen eine unterschiedliche Bedeutung zuschreiben, indem sie ihnen folgen oder sich aktiv dazu positionieren. Der Einfluss solcher normativen Vorstellungen innerhalb von Wohnstandortentscheidungen blieb in der Wanderungsforschung allerdings bisher weitgehend unberücksichtigt.

Im vorgeschlagenen Beitrag widmen wir uns daher folgenden Forschungsfragen: Welche Gründe stehen hinter Wanderungen in städtische und ländliche Räume? Wie wird dies durch gesellschaftliche Normen eines guten Wohnens beeinflusst? Wie und wann positionieren sich Menschen innerhalb von Wohnstandortentscheidungen zu diesen Normen? Diese Fragen gehen wir mit Ergebnissen aus dem KoBaLd-Projekt, das Wohnstandortentscheidungen sowohl in städtischen als auch in ländlichen Räumen in Deutschland untersucht, nach. Das Projekt umfasst zum einen 30 leitfadengestützte Interviews zu vergangenen und beabsichtigten Wohnstandortentscheidungen, die in Großstädten und in ländlichen Räumen durchgeführt wurden. Es ermöglichte eine eingehende Analyse der zugrunde liegenden Abwägungen und Aushandlungen für die Wohnmobilität und zeigte, wie stark Wohnstandortentscheidungen durch normative Überzeugungen wie die Idee einer Wohnkarriere im Lebensverlauf geprägt sind. Zum anderen beziehen wir uns auf eine große Bevölkerungsbefragung (n=3.600), die im Jahr 2020 telefonisch durchgeführt wurde. Neben klassischen Frageblöcken wurden die Befragten hier gebeten, offen auf Fragen zu Weg- und Zuzugsgründen sowie erneuten Umzugswünschen zu antworten. Dieser methodische Zugang ermöglicht uns, die Verflechtungen zwischen verschiedenen Kategorien von Gründen herauszuarbeiten. Somit können normative Vorstellungen zu gutem Wohnen auch quantitativ erfasst und anhand sozio-demografischer Variablen sowie Raumtypen differenziert werden.