Im Namen von Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Die grüne Wasserstoff-Frontier in Namibia

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 2.104
Autor*innen
Johanna Tunn (Universität Hamburg)
Tobias Kalt (Universität Hamburg)
Jenny Simon (Universität Hamburg)
Kurz­be­schreib­ung
Das Paper analysiert Transformationsdynamiken der globalen Wasserstoffökonomie mit Fokus auf Namibia. Aus polit-ökologischer Perspektive zeigt es auf, dass namibische Wasserstoffprojekte in ein extraktivistisches und grünkoloniales Entwicklungsmodell eingebettet sind, das Ungerechtigkeiten forciert.
Schlag­wörter
Grüner Wasserstoff, Namibia, Grüner Kolonialismus, Grüner Extraktivismus, Energiegerechtigkeit

Abstract

Namibia soll einer der Hauptlieferanten von grünem Wasserstoff für den deutschen und europäischen Markt werden. Während Wasserstoff als Weg zu einer grünen Transition der deutschen und europäischen Wirtschaft unter Integration afrikanischer Interessen vermarktet wird, sprechen sozialen Bewegungen schon seit Beginn der Exportbestrebungen von grün-kolonialistischen Tendenzen. In der akademischen Debatte fehlen bislang theoretisch orientierte und empirisch fundierte Beiträge, welche die sozio-räumlichen Transformationsdynamiken in der globalen Wasserstoffökonomie analysieren. Dies wollen wir in diesem Paper mit Rückgriff auf Konzepte aus der Politischen Ökologie, Politischen Ökonomie und postkolonialen Theorie zur Aneignung von Natur im Zuge ökologischer Krisen versuchen.

Unsere Analyse basiert auf qualitativer Feldforschung in November 2022 in Namibia. Wir argumentieren, dass der exportorientierte Investitionsschub in Namibias Wasserstofftransition einem grün-kolonialen Entwicklungsmodell folgt, das auf Extraktivismus und der Externalisierung sozial-ökologischer Kosten beruht. Durch grüne Wasserstoffprojekte werden Energieressourcen in den Globalen Norden transferiert, während die Regierungen im Globalen Süden nur begrenzte Einnahmen erhalten, sich weiter verschulden und die Kontrolle über Produktion und Technologie abtreten. Während die namibische Regierung auf Entwicklungschancen hofft, weisen aktuelle Entwicklungen auf das Entstehen von Enklaven-Ökonomien hin, welche von den Interessen der Importländer geleitet sind.

Mit dem Konzept der Commodity Frontier (Moore 2000) fokussieren wir die kapitalistische Expansionsdynamik hinter der globalen Ausbreitung der Wasserstoff-Frontier und verknüpfen diese mit konkreten Orten, an denen sich diese derzeit ausdehnt. Damit bringen wir die Wechselbeziehungen zwischen globalem Wandel und lokalen Transformationsprozessen in Namibia in den Blick, die wir mit Konzepten wie Green Grabbing (Fairhead et al. 2012) und grüne Landnahme (Backhouse 2013) tiefergehend analysieren. Konzepte wie grüner Kolonialismus (Hamouchene 2022) oder Energiekolonialismus (Müller i.E.) betonen koloniale Kontinuitäten, etwa darin, wie sich deutsche Interessen über Energiepartnerschaften in die namibische Wasserstoffstrategie einschreiben. Mit dem Konzept des grünen Extraktivismus (Andreucci/Voskoboynik 2022) schauen wir darüber hinaus auf neue Legitimierungsdiskurse, die auf Argumente des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit verweisen und auf kritische Stimmen treffen, die Namibia als neuen Ressourcenpool für europäischen Wohlstand sehen. Mit Konzepten wie Wasserstoffgerechtigkeit (Müller et al. 2022) schauen wir schließlich auf die Auswirkungen namibischer Wasserstoffprojekte, wie die Beeinträchtigung von Naturparks, wachsende Verschuldung durch Darlehen sowie die Nichtbeachtung von Reparationsforderungen für koloniale Verbrechen Deutschlands. Wir nutzen diese Konzepte, um diese Auswirkungen als Gerechtigkeitsfragen zu politisieren.