Internationale Supermärkte in der Leipziger Eisenbahnstraße: Knotenpunkte transnationaler Räume?

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 4
Autor*innen
Josca Levert (Leipzig)
Kurz­be­schreib­ung
Auf der Eisenbahnstraße in Leipzig kreuzen sich die Alltagswege von Personen mit unterschiedlichen Bezugsregionen. Transmigrantische Geschäftsinhaber und Kund*innen ausländischer Supermärkte erzeugen hier kein Abbild ihrer Herkunftsregion, sondern schaffen Kontaktpunkte mit vielfältigen Bezügen.

Abstract

Durch Migration treffen vermehrt unterschiedliche Nationalitäten aufeinander. Neue Räume werden konstruiert, die durch die Begegnungen verschiedener geographischen Biographien geprägt sind. Ein Beispiel so eines Raumes ist die Leipziger Eisenbahnstraße. Hier leben viele Personen mit Migrationshintergrund und betreiben Ethnic Economies, darunter 11 internationale Supermärkte. Um dort die lokalen Lebensrealitäten und transnationalen Alltagspraktiken von Migrant*innen (Yıldız 2018: 54f) zu untersuchen, werden Ansätze des Transnationalismus, der Soziosphären (Albrow 1997) und der Culinary Citizenship miteinander verknüpft. Die leitende These lautet, dass der (Ver)kauf von Lebensmitteln sowohl eine lokale als auch eine transnationale Alltagspraxis mit teilweise hoher identitätsbezogener Bedeutung darstellt. Auch die Netzwerke und Begegnungen, die in diesem Kontext entstehen, werden untersucht. Dafür wurden Interviews mit Eigentümern, Mitarbeitenden und Kund*innen durchgeführt.

Die Supermärkte sind mit vielen Regionen der Welt durch soziale, familiäre und wirtschaftliche Kontakte verbunden. Die Inhaber und Beschäftigten sind überwiegend Migrant*innen mit arabischen oder türkischen Wurzeln. Sie pflegen den Kontakt zu Familienmitgliedern in der Herkunftsregion oder in anderen Regionen in unterschiedlicher Form und Intensität. Über Lieferketten der Verkaufsprodukte sind die Geschäfte aber auch mit weiteren Ländern über Europa und den Nahen Osten hinaus verknüpft.

Viele Kund*innen finden sich in einem allgemeinen Bezug auf den arabischen Raum wieder. Im Sinne einer Culinary Citizenship finden sie in den Supermärkten Produkte, die sie an ihre Heimat erinnern. Auf der Eisenbahnstraße sind aber sonst auch unterschiedlichen Herkunftsländer und -regionen sowie Menschen ohne Migrationshintergrund vertreten. Die Straße wird darum sowohl als „Treffpunkt: multikulti“ als auch als „arabische Straße“ bezeichnet. Sie stellt einen Raum dar, in dem sich die Wege von Personen mit sehr unterschiedlichen Bezugsregionen und Erfahrungen über Alltagspraktiken kreuzen. Demensprechend kann die Eisenbahnstraße als soziale Landschaft verstanden werden, in der unterschiedliche Soziosphären aufeinandertreffen. Teilweise entstehen dabei enge Kontakte, teilweise gelegentliche oder regelmäßige freundliche, aber oberflächliche Begegnungen. Der herzliche, freundliche Umgang mit den Kund*innen, mit teilweise engen Kontakten und gegenseitiger Unterstützung, wird als „wie in der Heimat” beschrieben. Gleichzeitig wird deutlich, dass Transmigrant*innen an ihrem Wohnort Leipzig kein Abbild ihrer Herkunftsregion erzeugen, sondern ein neues Bild mit vielfältigen regionalen Bezügen hervorbringen.