„Kein Raum ist nie": Zur phänomenologischen Gegebenheit geographischer Räume
Abstract
Günter Figals Maxime »Kein Raum ist nie.« zum Ausgangspunkt nehmend, führt der folgende Vortrag in die phänomenologische Gegebenheit geographischer Räume ein. Den historischen Ausgangspunkt meiner Überlegungen liefert zunächst die geographische Debatte um die Frage, ob Räume oder Landschaften real sind (Ritter, Fröbel, Humboldt, Hettner). In meiner Nacherzählung kulminiert die Debatte in einer begrifflichen Verlegenheit, die Carl Sauer dazu veranlasste, den Begriff ›Phänomenologie‹ in die Geographie einzuführen.
Diese Verlegenheit–wie etwas vages und immaterielles wie ›der Raum‹ oder ›die Landschaft‹ wahrgenommen werden kann–ernst nehmend, rekonstruiere ich eine mögliche Phänomenologie des Raumes auf Grundlage von Sauers »Morphology of Landscape« (1925) und der Quellen, auf die sich Sauer nur oberflächlich bezieht (vor allem Goethes naturwissenschaftliche/-philosophische Arbeiten).
Diese skizzenhafte Phänomenologie geographischer Räume ausbauend, wende ich mich einem Zeitgenossen Sauers zu: Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie. Seine Arbeit »Grundlegende Untersuchungen zum phänomenologischen Ursprung der Räumlichkeit der Natur« (1934) dient mir als theoretischer Ausgangspunkt für die Überlegung: »Kein Raum ist nie.«
Auf diese historischen Quellen folgt die Beschäftigung mit zeitgenössischer phänomenologischer Theorie. Unter Bezugnahme auf die Arbeiten von Sara Ahmed und Günter Figal entwickle ich eine Phänomenologie des Raumes, die anstatt bestimmte Raumvorstellungen zu reifizieren, den Raum in seiner Erscheinungsweise als Möglichkeitsraum zum Vorschein bringt.
Darin liegt schließlich das kritische Potential einer Phänomenologie geographischer Räume begründet. Durch das phänomenologische Seitwärtsschauen auf die räumlichen Gegebenheitsweisen unserer Erfahrung werden die Strukturen, die unsere Erfahrung und Existenz grundlegend bestimmen, deutlicher lesbar, erfahrbar und kritisierbar. Darin schließen meine Überlegungen zu der Feststellung »Kein Raum ist nie.« an die jüngeren Arbeiten in der Humangeographie zu ›critical phenomenology‹ an (Kinkaid).
Abschließend wende ich meine theoretischen Überlegungen auf ein räumliches Phänomen an, das die historische Debatte zu Räumen und Landschaften am Rande durchweg begleitete: das Klima. Welche Konsequenz hätte die phänomenologische Einsicht »Kein Klima ist nirgends.« auf unsere Wahrnehmung der Klimakrise?