Konzeptionen städtischer Ungleichheit: Fragmentierte Urbanisierung revised

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 5
Autor*innen
Alexander Kohrs (TU Berlin)
Linda Hering (Humboldt-Universität zu Berlin)
Kurz­be­schreib­ung
Fragmentierung ist eines der Schlüsselkonzepte der Stadtforschung, um über Ungleichheit nachzudenken. Gerade im Globalen Süden wird dieses Phänomen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen offenkundig. Bisher stehen verschiedene Denkansätze und empirische Anwendungsmöglichkeiten noch unsystematisch nebeneinander. Der Beitrag möchte diese Lücke schließen und eine Debatte zur Schärfung des Konzepts anstoßen.

Abstract

Rasant wachsende urbane Räume des Globalen Südens stellen einen beliebten Forschungsgegenstand in der Geographie dar. Ein Grund hierfür ist, dass dort in atemberaubender Geschwindigkeit die physisch-materielle Umwelt überformt, wird und dabei neue soziale Ungleichheiten produziert werden. Insbesondere Städte des globalen Südens werden gemeinhin als „city of fragments, where urbanisation takes place in leaps and bounds, creating a continuously discontinuous pattern.” (Balbo 1993, 24) wahrgenommen. Charakteristisch für den Prozess der fragmentierten Urbanisierung ist, dass er zu ausgeprägten kleinräumigen Unterschieden und Ungleichheiten in Bereichen der physisch-gebauten Umwelt, der städtischen Wirtschaftsstruktur, dem Einkommen sowie der kulturellen Zusammensetzung und institutionellen Steuerung der städtischen Entwicklung führt. Dies zeigt sich besonders daran, dass sich die Städte von Quartier zu Quartier oder sogar von einem Straßenzug zum nächsten extrem unterscheiden (ebd.). Gemeinhin wird Fragmentierung als hinderlich für eine nachhaltig-soziale Stadtentwicklung betrachtet, da sie zu vielfältigen Exklusionen in der Stadt führt und durch verschiedenste Feedback- und Leveragemechanismen städtische Probleme der Ungleichheit (z.B. Kriminalität, Marginalisierung etc.) verstärkt (Landman 2011, 53-57).

Ein Blick in die Literatur zeigt, dass eine Fülle empirischer Forschungsarbeiten vorliegen, die sich mit Phänomenen von fragmentiertem Housing oder Residential Areas (z.B. Jimmy et al. 2020), über fragmentierte Infrastrukturentwicklungen (z.B. (Vásquez et al. 2016; McFarlane 2018) bis hin zu fragmentierter Entwicklung auf Grund von Inwertsetzung Prozessen wie Touristification und Supermarketization befassen (Branca, Haller 2021). Zudem werden Konzepte wie die fragmentierte Stadtentwicklung oft synonymhaft mit anderen Begriffen wie dem des Splintering Urbanism, der Spatial Segregation, des Fortified Urbanism der polarisierten Stadtentwicklung oder der Dual City (Landman 2011; McFarlane 2018; Harrison 2003) verwendet. Damit gilt bis heute Harrisons Diagnose: „Fragmentation […] is a slippery concept – a catchphrase that everyone recognizes and yet no-one seems able to define with any precision.” (Harrison 2003: 15).

Angesichts der Einigkeit über die Existenz fragmentierender Prozesse in urbanen Räumen des Globalen Südens, ist dieser Debattenstand überraschend. Daher soll ein Systematisierungsversuch unternommen werden, der die verschiedenen theoretischen und empirischen Arbeiten mit Fokus auf die Entwicklung von urbanen Räumen im globalen Süden inhaltlich ordnet. Ziel ist es die Perspektive auf die konzeptionelle Fassung von Fragmentierung zu schärfen. Diese konzeptionellen Überlegungen sind dabei aus der eigenen empirischen Arbeit zu urbanen Ernährungssystemen in Nairobi entstanden und sollen exemplarisch auf dieses Beispiel übertragen werden, um eine Debatte über die damit verbundene Forschungspraxis anzuschieben.