Konzeptualisierungen funktionaler ländlicher Räume für Kapazitäten zu ökologischen, sozio-ökonomischen und digitalen Transformationen: Politische Richtungen und Forschungsgrundlagen

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 0.101
Autor*innen
Carla Wember (Institut für Ländliche Strukturforschung)
Svea Thietje (Institut für Ländliche Strukturforschung)
Kurz­be­schreib­ung
In diesem Beitrag skizzieren wir die konzeptionellen Grundlagen des Horizon Europe-Projekts RUSTIK von funktionalen ländlichen Gebieten im Zusammenhang mit Kapazitäten für digitale, sozio-ökonomische und ökologische Transformationsprozesse in ländlichen Räumen.

Abstract

In Europa hat die zunehmende Auseinandersetzung mit Stadt-Land-Beziehungen in Forschung und Politik zu der Erkenntnis geführt, dass ländliche Gebiete heterogen sind und eine Vielzahl materieller und gesellschaftlicher Funktionen erfüllen. Das vorherrschende politische Konzept zur Beschreibung und Steuerung des funktionalen Raums – Functional Urban Areas - ist jedoch stadtzentriert und bietet nur eine begrenzte Perspektive für das Verständnis ländlicher Vielfalt. Das Konzept neigt dazu, überholte Ansätze „zentraler Orte” zu reproduzieren und ländliche Gebiete als geographisches Hinterland zu verstehen, das lediglich den extraktiven Bedürfnissen des nächstgelegenen angrenzenden Zentrums dient. Im Gegensatz dazu wird in der EU-Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums ein alternatives Konzept der Functional Rural Areas entwickelt.

In diesem Beitrag skizzieren wir die politischen Gründe für diese neue konzeptionelle Wende und stellen das Vorgehen und die ersten Ergebnisse des Horizon Europe-Projekts RUSTIK vor, das sich mit der Funktionalität ländlicher Gebiete befasst. Das vierjährige Projekt zielt darauf ab, Akteur*innen in ländlichen Räumen und politische Entscheidungsträger*innen anhand neuer Daten(infrastrukturen) zu befähigen, verbesserte Strategien, Initiativen und Politiken zu entwerfen. Neben der hier vorgestellten konzeptionellen Grundlage für funktionale ländliche Räume, sollen zudem Datenbanken zur Integration unterschiedlicher Daten aus verschiedenen Quellen, verbesserte Strategien und Governance-Ansätze für ländliche Entscheidungsträger*innen und Interessenvertreter*innen sowie Instrumente für eine verbesserte Analyse der Auswirkungen von Politiken auf den ländlichen Raum und die dezentrale Überprüfung (rural proofing) ländlicher Gebiete entwickelt werden. Im Mittelpunkt stehen 14 Living Labs – eine Methodik zum Erkennen, Experimentieren, Validieren und Verfeinern komplexer Lösungen in verschiedenen, sich entwickelnden realen Kontexten - in zehn europäischen Ländern.

Auf der Grundlage von Literaturrecherchen sowie Gesprächen mit wichtigen politischen Entscheidungsträgern auf EU‑, nationaler und regionaler Ebene und Diskussionen mit Forscher*innen identifizieren wir drei funktionale Bereiche, die zur Charakterisierung der ländlichen Vielfalt und Multifunktionalität ländlicher Gebiete beitragen. Diese Funktionsbereiche können in ländlichen Gebieten auf unterschiedliche Weise kombiniert sein und sind nicht nur in Bezug auf städtische Gebiete, sondern gesamtgesellschaftlich definiert. Wir ordnen diese Bereiche den wichtigsten sozioökonomischen und demografischen, klima-ökologischen und digitalen Transitionen zu, die sowohl kollektiv als auch lokal bemerkbar sind. Wir argumentieren, dass die Entwicklung des Konzepts Functional Rural Areas eine Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Funktionen und Kapazitäten, auf Veränderungen zu reagieren, erfordert, um strategische Antworten und ortsbezogene Umsetzungsmöglichkeiten zu finden.