Kuratierte Begegnung als transformative Praxis für eine sorgende Gemeinschaft?

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
HZ 12
Autor*innen
Rivka Saltiel (Universität Graz)
Kurz­be­schreib­ung
Am Beispiel informeller Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen für prekäre Migrant:innen in Brüssel, diskutiert der Beitrag die sozialen Beziehungen kuratierter Begegnungen und fragt nach ihrem transformativen Potential für die Entstehung sorgender Gemeinschaften.
Schlag­wörter
Ankommen, Differenz, feministische Sorgeethik, Solidarität, (Un)Gerechtigkeit,

Abstract

Kuratierte Begegnung ist eine bestimmte Form von Begegnung, bei der das Zusammentreffen von Personen mit und aufgrund ihrer unterschiedlichen sozialen Identitäten, Fähigkeiten und Bedürfnissen organisiert, vermittelt und inszeniert—kuratiert—wird, um auf Bedürfnisse von Menschen in der Stadt zu reagieren.

Im Zusammensein von unterschiedlichen Menschen in der Stadt, werden Differenzen und Gemeinsamkeiten (neu) ausverhandelt und Gemeinschaft(en) lokal produziert. Die entstehenden Gemeinschaften reagieren auf Strukturen sozialer Marginalisierung und ungleichen Zugang zu Versorgung. Dabei werden normative hierarchische Kategorien von Menschen und Räumen brüchig und Strukturen sozialer Marginalisierung infrage gestellt.

Am Beispiel informeller Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen für prekäre Migrant:innen in Brüssel werden die Beziehungen und das soziale Miteinander kuratierter Begegnungen ethnographisch erforscht. Seit 2015 initiiert die Plateforme Citoyenne de soutien aux Réfugiés Begegnung und Interaktion zwischen ankommenden Migrant:innen und der lokalen Bevölkerung, um die Versorgung und das Überleben der Geflüchteten zu sichern. Dies geschah u.a. in einem informellen Camp für Geflüchtete in einem öffentlichen städtischen Park in Brüssel 2015 und durch Hébergement, einer Initiative, die Unterbringung von prekären Migrant:innen im privaten Wohnraum belgischer Haushalte vermittelt.

Die Begegnungen, die die Plateforme Citoyenne kuratiert, bringen neue Formen des gesellschaftlichen Miteinanders, der Fürsorge und Versorgung hervor. Die entstehenden Beziehungen stellen wesentliche gesellschaftliche Ressourcen dar, die Prozesse des An- und Weiterkommens in Brüssel maßgeblich prägen. Jedoch sind diese Beziehungen grundlegend von strukturellen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten durchdrungen, die Differenz als Teil von Herrschaftsverhältnissen sozial konstruieren, produzieren und aufrechterhalten. Die entstehenden Gemeinschaften sind fragil, Sorgearbeit und -beziehungen werden unter großem Druck aller Beteiligten aufrechterhalten.

Der Beitrag fragt danach, wie soziale Beziehungen und gesellschaftliche Verhältnisse in der kuratierten Begegnung zwischen „Fremden“ verhandelt werden und diskutiert ihr Potential für eine solidarische sorgende Gemeinschaft; für veränderte Verhältnisse für Sorge – und Gemeinschaft. Basierend auf feministisch-sorgeethischen Normen, sieht eine sorgende Gemeinschaft eine radikale Neustrukturierung von Verantwortung vor, macht dabei gesellschaftliche Machtstrukturen sichtbar und fordert demokratische Diskussionen über die Verteilung von Sorge.