Lausitz in progress: Wandel einer Energie- und Erinnerungslandschaft

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 1.104
Autor*innen
Jenny Hagemann (Sorbisches Institut Cottbus)
Hannah Wellpott (Sorbisches Institut Cottbus)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag zielt darauf ab, die Tagebaufolgelandschaft der Lausitz als eine dezidiert erinnernde Landschaft – und damit als Raum zur Aushandlung von Identität, Zugehörigkeit und Macht – zu konzipieren und anhand ausgewählter Beispiele die Funktionsweisen transformationsbedingten Erinnerns zu diskutieren.

Abstract

Die Lausitz ist eine von zahlreichen Unsicherheiten und Umbrüchen geprägte Region: das über jahrzehntelange Leben mit bevorstehenden Ortsdevastierungen im Zuge der Braunkohlenförderung, die Umbruchserfahrungen der innerdeutschen Wiedervereinigung, die Unsicherheiten in Bezug auf das genaue Datum des Kohleausstiegs, die wortwörtlichen Un-Sicherheiten in der Tagebaufolgelandschaft (wie Rutschungen oder ein gestörter Wasserhaushalt) sowie der damit verbundene ungewisse Blick in die Zukunft – einerseits in Bezug auf sogenannte Ewigkeitskosten, andererseits in Bezug auf ein sich änderndes Selbstverständnis vor dem Hintergrund des Strukturwandels.

In Transformationsprozessen wie diesen kommt dem kollektiven Erinnern eine besondere Bedeutung zu. Als ein sozio-kultureller Aushandlungsprozess dient er der Beheimatung und Stabilisierung und trägt damit zur Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen bei (Berger 2020; Jaramillo/Tomann 2021). Insbesondere seit der Wiedervereinigung ist in der Lausitz eine vielschichtige Erinnerungslandschaft entstanden, in der sowohl das industrielle Erbe als auch die Geschichte und kulturelle Prägung der devastierten Orte vergegenwärtigt wird.

Das Beispiel Lausitz weist damit auf zwei zentrale Aspekte hin, die zum Verständnis post-industrieller Erinnerungslandschaften beitragen: Aus einer historisierenden Perspektive lässt sich, erstens, der Wandel des Erinnerns vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis nachvollziehen (Assmann 1999; Welzer 2005), da die Ära der Braunkohlenförderung selbst im Übergang vom Nah- in den Fernhorizont begriffen ist. So ist insbesondere seit den 1990er Jahren eine Konzentration der Erinnerungspraktiken auf bestimmte Orte sowie eine zunehmende Professionalisierung und Institutionalisierung der erinnernden Akteur*innen zu beobachten. Zweitens sensibilisiert das Lausitzer Beispiel für post-industrielle Landschaften als kulturell hybride Erinnerungsräume, da sich das Lausitzer Braunkohlenrevier in weiten Teilen mit dem historischen wie aktuellen Siedlungsgebiet der anerkannten Minderheit der Sorben/Wenden überlagert und die Region ebenso durch den Zuzug sozio-kulturell heterogen verorteter Arbeiterschaft geprägt ist. So können Erinnerungslandschaften durchaus als Dritte Räume fungieren und Erinnerungsprozesse der Verhandlung von Mehr- und Minderheitenverhältnissen dienen (Tschernokoshewa 2016; Osses 2022).

Der kulturanthropologisch orientierte Beitrag zielt darauf ab, die Tagebaufolgelandschaft der Lausitz als eine dezidiert erinnernde Landschaft – und damit als Raum zur Aushandlung regionaler Identität, Zugehörigkeit und (Deutungs‑)macht – zu konzipieren und anhand ausgewählter Kristallisationspunkte transformationsbedingten Erinnerns zu diskutieren. Den Kontext unserer Erkenntnisse bildet die wissenschaftliche Begleitung der seit Juli 2020 laufenden Welterbe-Initiative für die Lausitzer Tagebaufolgelandschaft durch das Serbski institut/Sorbische Institut.