Lebensereignis "Wohnumzug" und Veränderungen des Mobilitätsverhaltens: Auswirkungen einer autoreduzierten Siedlung auf die Mobilität der Anwohnenden
Abstract
Ein wesentliches Hindernis für eine Mobilitäts‑, Verkehrs- oder Antriebswende (Manderscheid 2020) in urbanen Räumen ist die ausgeprägte Autozentriertheit deutscher Städte. Der Neubau autoreduzierter Siedlungen ist ein planerischer Ansatz zur Reduktion des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Dabei werden nachhaltige Raumnutzungs- und Mobilitätskonzepte entworfen, die die Nutzung des privaten Pkws einschränken bzw. weniger Platz zur Verfügung stellen. Wohnquartiere mit umwelt- und sozialverträglichen Mobilitätskonzepten sind in Deutschland eine neue Entwicklung und ein Ansatzpunkt zur Förderung von nachhaltiger Mobilität in der Raum- und Stadtentwicklung (VCD e.V. 2019). Der Wohnstandort ist ein großer Hebel zur Veränderung des Mobilitätsverhaltens, da ein hoher Anteil der Wege dort startet oder endet (Nobis und Kuhnimhof 2018). Wohnumzüge in eine neue Umgebung werden als relevantes, mobilitätsbezogenes Schlüsselereignis angesehen (Rau und Manton 2016), da Routinen aufgebrochen werden können und alltägliche Wege verändert werden. Diese Kontextveränderung stellt dabei auch ein Gelegenheitsfenster (Busch-Geertsema et al. 2016) für eine Reduktion der Autonutzung dar.
In dieser Erhebung wird die autoreduzierte Lincoln-Siedlung im Süden Darmstadts, ein großes Neubauquartier mit preisgekröntem, nachhaltigen Mobilitätskonzept, untersucht. Die Konversionsfläche befindet sich seit 2014 im Bau und soll Wohnraum für 5.000 Personen bieten. Wesentlicher Bestandteil des Mobilitätskonzeptes ist die Reduktion des Stellplatzschlüssels auf 0,65 Stellplätze pro Wohneinheit inklusive einer monatlichen Gebühr für die Anmietung eines Stellplatzes zwischen 60 € und 130 € und der Errichtung von Quartiersgaragen. Zusätzlich zu diesen Push-Maßnahmen wurden eine Reihe von Pull-Maßnahmen implementiert, wie unter anderem eine neue Straßenbahnhaltestelle und teils exklusive verschiedene Sharing- und Poolingangebote.
In der Lincoln-Siedlung wurden mehrere quantitative Haushaltsbefragungen mit unterschiedlichen Studiendesigns durchgeführt. In drei Vollbefragungen wurden alle volljährigen Bewohnenden der Siedlung in den Jahren 2020, 2021 und 2023 schriftlich befragt. Zudem wurde in der diesjährigen Befragung noch eine Vergleichsgruppe befragt, die aus Personen besteht, die in den letzten Jahren in andere Darmstädter Viertel gezogen sind.
Die bisherige Forschung zu autoreduzierten Wohnquartieren zeigt, dass die Planungsvisionen einer autoreduzierten Siedlung nicht automatisch von den Bewohnenden angenommen und umgesetzt werden (Selzer 2022). Der Mix aus Panelstudien- und Vergleichsgruppe-Design ermöglicht fundierte Aussagen zu den Auswirkungen des Umzugs in die autoreduzierte Lincoln-Siedlung auf die Mobilität der Bewohnenden. Der Fokus liegt dabei auf dem Zusammenspiel zwischen dem Lebensereignis „Wohnumzug“ und der gebauten Umwelt „autoreduziertes Quartier“.