Markt & Ideen: Dekommodifizierende Vergesellschaftung des Wohnens in urbanen Kontexten in Deutschland

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 6
Autor*innen
Johanna Betz (Universität Tübingen)
Kurz­be­schreib­ung
Dieser Beitrag begibt sich auf die Suche nach Koalition und Initiativen, die Wohnraum und Grund und Boden in unterschiedlichen deutschen Städten demokratisieren und dekommodifizieren wollen und fragt: Welche handlungsfähigen Koalitionen, regulativen Formen und politischen Leitbilder gibt es jenseits eines direkten Bezugs auf Artikel 15 des Grundgesetzes für eine gemeinwohlorientierte Vergesellschaftung des Wohnens?
Schlag­wörter
Infrastruktur, Daseinsvorsorge, Gentrifizierung, Wohnen, Politische Ökonomie

Abstract

Das erfolgreiche Berliner Volksbegehren für die Enteignung und Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen und die daraus hervorgehenden weiterführenden Debatten über die Organisation der Wohnungsversorgung haben bundesweit die politische Landkarte des wohnungspolitischen Denk- und Machbaren neu gezeichnet. Dieser Beitrag begibt sich im Rahmen einer interkommunal-vergleichenden Forschungsarbeit zum Thema lokale Wohnungspolitik auf die Suche sowohl nach übergreifenden Leitbildern als auch nach konkreten Vorschlägen, sozialen Kämpfen und Ideen, Grund und Boden und Wohnraum in anderen deutschen Kommunen zu vergesellschaften. Er beleuchtet Versuche in unterschiedliche Stoßrichtungen, die das Ziel haben die Kommodifizierung des Wohnens zurückzuschrauben – jenseits eines direkten Bezugs auf Artikel 15 des Grundgesetzes und den darauf bezogenen, engen Rechtsbegriff von Vergesellschaftung.

Basierend auf Diskurs-Netzwerk-Analysen der Lokalpresseberichterstattung und leitfadengestützten Expert*inneninterviews in Tübingen, Stuttgart, Frankfurt am Main und Dresden erörtert der Beitrag, wie diese Formen und Strategien durch A) stadtpolitische Konstellationen (zivilgesellschaftliche Akteure und soziale Bewegungen mit einbezogen), B) die Verwaltungsstruktur und ihr Agieren und C) die jeweils lokalspezifische Immobilien-Eigentümerstruktur und D) Machtverhältnisse auf Landesebene potenziell gebremst oder gestärkt wird. Anhand von Beispielen, die die Demokratisierung und Dekommodifizierung der Wohnraumversorgung in den Fallstädten stärken, wird nachgezeichnet, welche Machtkonstellationen dabei einen Wandel begünstigen oder blockieren, aber auch welche Ambivalenzen und Grenzen die einzelnen Steuerungsformen kennzeichnen. Dabei wird ein regulatives Spannungsfeld erforscht, das sich öffnet zwischen einerseits der für den historisch gewachsenen Wohnungsmarkt, die Gebrauchswert-Diversität des Wohnens und die Kommunalisierung der Wohnungspolitik seit den 1990er Jahren typischen regionalen Spezifität, die vielfältige (kleinteilige) regulative Strategien notwendig macht und günstig erscheinen lässt. Und andererseits weitreichenderen Steuerungsinstrumenten, die größere Marktanteile dekommodifizieren und in Gemeineigentum überführen können.