(Mehr-als-)Menschliche „Körperanhängsel“ zwischen Kategorisierung und Widerstand

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 10
Autor*innen
Jana Wieser (KU Eichstätt-Ingolstadt)
Kurz­be­schreib­ung
Ich möchte entlang des Stand der Forschung zu menschlichen Kopfhaaren zeigen, wie diese immer wieder an kategorisierende und widersprüchliche Bedeutungen, Grenzen und Zugehörigkeiten geknüpft werden. Erweiternd betrachte ich Haare als im-miteinander-werdendes Haarnetzwerk und ziehe entsprechende Momente der Aushandlung von Macht und Widerstand heraus.

Abstract

Sie stellen ein ‚Körperanhängsel‘ dar- sind weder unbestrittener und essentieller Teil des menschlichen Körpers noch von diesem getrennt, sie befinden sich in einem Zustand, der weder Tod noch Lebendiges beschreibt. Den Kopfhaaren des Menschen kommt gesellschaftlich schon immer viel Aufmerksamkeit zu - hinsichtlich sozialer und kultureller Vorstellungen und Darstellungen von Schönheit und Geschlechtlichkeit, Gesundheit, Alter, Glaube und Sexualität sowie damit verflochtenen Zugehörigkeiten, die in entsprechenden Spannungsfeldern und Grenzräumen ausgehandelt werden. Dabei werden sie jedoch meist als ‚wertfrei‘ abstrahiert, ihre Funktion als Signifikant von Unterschieden und daran geknüpfte gesellschaftliche, kulturelle und politische Stellungen ignoriert (Holton 2020). Gleichzeitig besitzen Haare eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber diesen Vorstellungen, ebenso wie Zeit und Raum gegenüber, sie verkörpern sich in und durch Widersprüche, sträuben sich gegen Kategorisierungen (Bauer & Böhle 2020; Schunka 2022). So verschieben sich soziale, räumliche, politische und persönliche Grenzen und Zugehörigkeiten. Haare verstehe ich entsprechend als ‚Grenzobjekte‘ (nach Star & Griesemer 1989) - Objekte, denen unterschiedliche Bedeutungen zukommen können, die robust und flexibel gleichzeitig sind, um diese unterschiedlichen Situationen parallel und im Zusammenhang mit Raum und Zeit ständig zu verhandeln (Star & Griesemer 1989). Elemente, in Schnittbereichen, die aufgrund ihrer Beziehungen oft eine Schlüsselrolle hinsichtlich Kontroversen und Dynamiken von Macht und Privileg spielen (Clarke 2021). Prozesse von Grenzüberschreitungen, -verschiebungen und Entgrenzungen, die sich immer wieder in Haaren materialisieren, sind damit Aushandlungen von (mehr-als-menschlicher) Macht, Wissen und (Handlungs)fähigkeit. Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Kategorien, ihre Fähigkeit, sich wie eine zähe Masse (menschlich-rationaler) Fassbarkeit zu entziehen, führt dazu, dass Haare zwar in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen angeschnitten wurden, jedoch selten umfassend und in ihrer interdisziplinären Verbindung betrachtet worden sind (Holton 2020). In meinem Vortrag möchte ich diese unterschiedlichen Verständnisse und Darstellungen von Haaren in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung verfolgen und diese als ein sich-miteinander-entwickelndes Haarnetzwerk verstehen. Dabei möchte ich Momente und Situationen des Widerspruchs deutlich machen, um zu verstehen wie, wo und durch wen Macht entsteht, die (vermeintliche) Zugehörigkeiten und Grenzen ko-konstruiert. Dieses Haarnetzwerk soll dann in Verbindung gebracht werden mit theoretischen Ansätzen zu mehr-als-menschlicher und relationaler Zugehörigkeit (Wright 2015).