Mobilitätswende in städtischen und ländlichen Räumen: Die Beispiele Berlin und Thüringen

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 2.101
Autor*innen
Hendrik Sander (Bauhaus-Universität Weimar)
Kurz­be­schreib­ung
Aus einer Perspektive der Politischen Ökologie beleuchtet der Vortrag die Ungerechtigkeiten des bestehenden Mobilitätssystems und Konflikte um die Verkehrswende in urbanen und ruralen Räumen am Beispiel von Berlin und Thüringen.

Abstract

Das autobasierte Mobilitätssystem und seine zugehörigen Infrastrukturen haben urbane und rurale Räume in den zurückliegenden Jahrzehnten tiefgreifend verändert und neue sozio-materielle Konfigurationen geschaffen. Diese basieren auf kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen und Profitstrategien und haben zugleich eine „automobile Subjektivität“ (Manderscheid) hervorgebracht. Dieses Modell führt zu einer systematischen sozial-räumlichen Mobilitätsungerechtigkeit. Ferner trägt es zu verschiedenen ökologischen Krisenprozessen bei (Klimakrise, Luftverschmutzung, Lärm), die ebenfalls sozial sehr ungleiche Auswirkungen haben.

Allerdings ist die Autogesellschaft in den letzten Jahren selbst in eine Krise geraten und wird durch neue Ansätze der Mobilität herausgefordert. Diese bewegen sich zwischen einer ökologischen Modernisierung des vorherrschenden Systems (Stichworte: Elektroauto und neue Mobilitätsdienstleistungen), die teilweise bestehende Ungerechtigkeiten reproduzieren. Mit Strategien einer gerechten Mobilitätswende eröffnen sich aber auch Chancen für eine sozial-ökologische Transformation. Die Ausgangsbedingungen und Transformationspotenziale unterscheiden sich allerdings wesentlich zwischen städtischen und ländlichen Räumen.

Die genannten Entwicklungen sollen in dem Vortrag am Beispiel der Konflikte um die Verkehrswende in Berlin und Thüringen illustriert werden. In Berlin prägt das Auto zwar weiterhin das Mobilitätssystem. Aber auch ÖPNV, Rad- und Fußverkehr haben eine wachsende Bedeutung. Dort treffen starke verkehrspolitische Initiativen und eine vergleichsweise ambitionierte Gesetzgebung auf die Beharrungskräfte der Verwaltungsapparate, der automobilen Subjekte und der gebauten Umwelt, die eine gerechte Verkehrswende erschweren. Das Land Thüringen ist demgegenüber von ländlich-peripheren Räumen bestimmt. Diese sind ungleich stärker vom Auto dominiert, während insbesondere der ÖPNV marginalisiert ist. Trotz der breiten Verfügbarkeit von Pkw sind auch dort Mobilitätsungerechtigkeiten festzustellen. Unter schwierigen Ausgangsbedingungen versuchen in einer Reihe von Thüringer Kommunen verschiedene Akteure Ansätze einer Verkehrswende voranzubringen.

Aus der theoretischen Perspektive der Politischen Ökologie soll analysiert werden, inwiefern diese Konflikte Ausdruck von krisenhaften (räumlich geprägten) Naturverhältnissen sind, die den gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur, die gebaute Umwelt und deren umkämpfte Nutzung prägen.