Mobilitätswende und soziale Fragen: Konfliktpotenziale der ökologischen Transformation vor dem Hintergrund angespannter Wohnungsmärkte

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 2.101
Autor*innen
Carla Jung-König (Universität Heidelberg)
Kurz­be­schreib­ung
Die konsequente Förderung des MIV und die entstandenen Pfadabhängigkeiten sowie Entwicklungen in den Bereichen Wohnen und Verkehr erschweren einen sozial gerechten Systemwechsel. Es braucht sektorübergreifende Instrumente, Geschäftsmodelle und Planungskulturen für einen nachhaltigen Wandel.

Abstract

Der eingereichte Vortrag geht der Frage nach, inwiefern Wirkzusammenhänge zwischen Siedlungsflächenentwicklung, Infrastrukturplanung und die bezahlbare Verknüpfung von Wohn- sowie Arbeitsorten Eingang in Politik und Praxis finden müssten, um eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Verkehrswende zu ermöglichen. Darüber hinaus werden am Praxisbeispiel eines neu zu entwickelnden Stadtteils in Heidelberg die Herausforderungen bei der finanzierbaren Entwicklung eines solchen Projekts skizziert und herausgearbeitet, welche Raumstrukturen, Planungsinstrumente und Geschäftsmodelle eine in allen drei Dimensionen nachhaltige Mobilitätswende auf lokaler Ebene braucht.

Grundsätzlich ist eine strukturelle Bevorzugung des Autos auf allen Ebenen der Planung sowie bei Finanzierungsfragen nach wie vor zu beobachten (Bundesregierung 2017; Bruns et al. 2018; NPM 2021; Siebert 2022): unsere Siedlungs- und Gewerbeflächenentwicklung hat sich jahrzehntelang nicht an nachhaltigen Verkehrsachsen orientiert. Die Gründe hierfür sind vielfältig und nicht allein im „Statussymbol“ Auto und im „von vielen Menschen präferierte[n] hohe[n] Komfort und [der] Flexibilität des Autos“ (BBSR 2018) zu suchen. So wird die Erreichbarkeit von Zielen mit dem ÖPNV desto eher positiv bewertet, umso näher eine SPNV Haltestelle zur Wohnung liegt. In städtischen Regionen mit guter ÖPNV Erschließung zeigen sich deutlich geringere PKW-Besitzquoten sowie ein Modal Split mit deutlich stärkerer Nutzung des Umweltverbundes (ebd.).

Die Wahl des Autos ist also nicht allein persönlichen Präferenzen zuzuschreiben, sondern hängt mit der verkehrlichen Anbindung des Wohn- und Arbeitsortes zusammen und wird durch räumliche Strukturen beeinflusst. Menschen, die aufgrund der Wohnraumsituation in großstädtischen Lagen nur noch im Umland Wohnraum finden (Ehrhardt et al. 2022), sehen sich mit steigenden Preisen für die PKW-Nutzung konfrontiert und haben gleichzeitig kaum Alternativen im Bereich des ÖPNV (Berrisch 2022). „Findings suggest that for low-income groups, private car ownership can represent a cost equal to housing, consuming a large share of disposable income“ (Gössling et al. 2022).

Der Bau einiger Radschnellverbindungen und innerstädtischer Radwege oder Appelle an die Bevölkerung, mit dem Rad zu fahren (Stichwort Eigenverantwortung), Verkehrsversuche in Großstädten mit Straßensperrungen sowie die Teuerung des MIV durch unterschiedliche Instrumente treffen somit nicht den Kern des Problems. Vielmehr bergen sie die Gefahr, soziale Ungleichheiten zu verstärken und im Umweltverbund mobile Stadtbewohnende gegen (gezwungenermaßen) automobil verkehrende Pendelnde auszuspielen und diese als „Klimasünder“ zu stigmatisieren. Für eine sozial gerechte Mobilitätswende müssen daher die Planungs- und Finanzierungsinstrumente des automobilen Zeitalters grundlegend überdacht und angepasst werden.