Multilokalität in Stadtregionen: Arrangements auf Zeit oder dauerhafte Lebensform?

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
SH 4.107
Autor*innen
Leonie Wächter (Karlsruher Institut für Technologie)
Caroline Kramer (Karlsruher Institut für Technologie)
Kurz­be­schreib­ung
Ist Multilokalität auch nach der Pandemie ein verbreitetes Wohn- und Lebenskonzept? Wie viele Menschen leben noch oder wieder multilokal – auch in Suburbia? Wie wird dieses temporäre Arrangement bewertet? Diesen und weiteren Fragen gehen wir in unserem Beitrag auf der Basis aktueller Erhebungen nach.

Abstract

Wohnen wird sowohl in der realen Lebenswelt als auch in der Wissenschaft vorwiegend als etwas Beständiges und Dauerhaftes beschrieben. Durch die Beschleunigung des Lebens, steigende Mobilitäten und die Individualisierung der Gesellschaft entstehen postmoderne Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die häufig temporär konzipiert sind. Entgegen den Erwartungen hat die Corona Pandemie diese Entwicklungen nicht verlangsamen können. Multilokalität als Form eines zeitlich begrenzten Wohnarrangements ist heute kein Phänomen mehr, das nur wenige Gruppen betrifft. Die multilokale Lebensform kann hinsichtlich zweier zeitlicher Dimensionen als temporal verstanden werden: Zum einen die für diese Wohnpraxis typische Rhythmizität und den damit verbundenen temporär begrenzten Aufenthalten an den jeweiligen Orten. Zum anderen kann die multilokale Lebensweise selbst als langfristiges oder befristetes Arrangement konzipiert sein.

Bei der wissenschaftlichen Betrachtung von Multilokalität stehen häufig nur „Aktiv-Praktizierende“ im Vordergrund und Auswirkungen auf „passiv Multilokale“ im Haushalt, die örtlich persistent sind, werden übersehen. Diese verschiedenen Facetten von Multilokalität als stabiles oder temporäres Wohn- und Lebenskonzept, das An- und Abwesenheiten an den verschiedenen Wohnstandorten induziert, werden im Diskurs um postpandemische Wohn- und Arbeitsarrangements bisher nur selten beachtet. Eine Abschätzung des quantitativen Ausmaßes multilokal lebender Menschen ist mithilfe amtlicher Daten derzeit nur begrenz möglich, da gelebte multilokale Arrangements oft nicht der Melderealität entsprechen. Hier setzen erste Ergebnisse aus unserem DFG-Projekt „Temporalität des Wohnens und Arbeitens“ an. Wir beleuchten temporäre und postpandemische Lebens‑, Wohn- und Arbeitsformen in den städtischen und suburbanen Gebieten von Frankfurt am Main und Leipzig. Dazu wurde eine repräsentative Befragung mit einem weitgehend standardisierten Fragebogen durchgeführt. Wir gehen davon aus, dass es weitaus mehr multilokal lebende Menschen bzw. von Multilokalität betroffene Haushalte gibt, als anhand von amtlichen Daten angenommen werden kann. Des Weiteren wird das Phänomen nicht nur in Innenstädten, sondern auch am Stadtrand und im städtischen Umland anzutreffen sein. Detaillierten Fragen zu den verschiedenen Orten, an denen Menschen regelmäßig übernachten, können Aussagen über die allgemeine Bewertung und die Dimensionen multilokaler Lebensweisen liefern. Dabei werden auch die Auswirkungen aktiv multilokaler Lebensweisen auf passiv Multilokale desselben Haushalts berücksichtigt. Da die Bereitschaft, multilokale Wohnarrangements einzugehen sowie die Bewertung der eigenen Arbeitssituation in der Corona-Pandemie thematisiert wird, können wir auch diese Zusammenhänge analysieren. Es wird sich weisen, inwiefern auch nach der Pandemie oder sogar wegen der Pandemie-bedingten Digitalisierung temporäres Arbeiten und Wohnen als neue Normalität und als ubiquitär angesehen werden kann.