Never waste a good crisis: Nachhaltige Immobilienwirtschaft in Krisenzeiten
Abstract
Das aktuelle Krisenniveau hat neue Höhen erreicht. Die Coronakrise, der Krieg in der Ukraine, die Klima- und Energiekrise, die Inflation, die Zinswende, die gestiegenen Baukosten und die wirtschaftliche Lage im Allgemeinen stellen nicht zuletzt auch die Immobilienwirtschaft vor große Herausforderungen. Krisen können aber gleichzeitig auch einen Anstoß zu Aufbruch und Veränderung geben.
Krisen als Chancen für Innovation und Transformation sind Gegenstand diverser wissenschaftlicher Theorien. In der (städtischen) Resilienzforschung basieren Modelle zumeist auf der Annahme, dass die langfristige wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung durch eine nicht-vorbestimmte Abfolge von Entwicklungsphasen und -krisen dargestellt werden kann. In der Phase der Stabilität wird das Erreichte konserviert, was einen hohen Selbsterhaltungsaufwand erfordert und die Innovationskraft zurückgehen lässt. Ein gutes Beispiel dafür sind die vergangenen zwölf goldenen Jahre in der Immobilienwirtschaft mit niedrigen Zinsen und starker Nachfrage. Wie aktuell zu beobachten, lösen exogene Schocks wie die Corona-Pandemie oder der Ukrainekrieg einen Zusammenbruch des bestehenden, etablierten Systems aus. Die erforderliche Anpassung an neue Bedingungen erzeugt Handlungsdruck bei den Akteuren, die versuchen ein neues Gleichgewicht zu finden und Stabilität anzustreben. Und dabei öffnen sich trotz hoher Unsicherheiten Opportunitätsfenster für alternative Pfade. Auch in der Immobilienwirtschaft üben die aktuellen Krisen Handlungsdruck auf die Akteure aus, der unter anderem zu einer stärkeren Verankerung von Nachhaltigkeitszielen in diesem Sektor beitragen kann.
So könnte beispielsweise die Energiekrise zu einem Katalysator für die Energiewende im Gebäudesektor werden. Denn die zunehmende energetische Ausdifferenzierung (z.B. in Form von Bewertungsabschlägen) und die Regulierung (Stichwort stranding assets) zwingt die Immobilienakteure zum Handeln. In der Baubranche wiederum könnte die Krise eine stärkere Automatisierung und eine Renaissance des seriellen und modularen Bauens/Sanierens anstoßen, da der Leidensdruck und damit auch der Innovationsdruck zur Effizienzsteigerung mit den Lieferengpässen, steigenden Material- und Personalkosten deutlich zunimmt. Auch das von der Bundesregierung ausgerufene Flächenverbrauchsziel Netto-Null bis 2050 könnte nun im Kontext der Zins- und Energiewende wieder in greifbarere Nähe rücken. So war die Zersiedelungsdynamik in der Vergangenheit einerseits das Ergebnis von zinsgünstigen Hypothekendarlehen und andererseits von günstigen Energiekosten. Nicht zuletzt steigert die Zinswende den Anreiz zur Investition in geförderten Wohnungsbau, denn die regionalen Förderdarlehen sind aktuell deutlich günstiger als die Kredite für freifinanzierten Wohnungsbau. Je mehr Stillstand im konventionellen Wohnungsbau entsteht, desto mehr Entwickler dürften sich dazu entschließen, sozial geförderte Projekte in Angriff zu nehmen.