Postanthropozentrische Umweltperspektiven: Die Utopie als Assemblage

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
SH 1.108
Autor*innen
Jennifer Raum (Bauhaus-Universität Weimar)
Kurz­be­schreib­ung
Als Assemblage unterschiedlicher Umweltperspektiven können utopische Welten die Grenzen unserer Realität kritisieren und erweitern, und dabei die Gewichtung des Menschen in einem sich ständig verändernden ökologischen Netzwerk von AkteurInnen hinterfragen.
Schlag­wörter
Utopie, Posthumanismus, Kollektive Transformation

Abstract

In den letzten Jahren hat sich der Begriff des Anthropozäns zunehmend disziplinübergreifend etabliert. Hinsichtlich der Herausforderungen und der Komplexität des Klimawandels wird jedoch deutlich, dass eine rein menschzentrierte Perspektive auf unsere Umwelt nicht mehr auszureichen vermag - es gilt, neue Ansätze und Methoden zu finden um die Rolle des Menschen in den sozialökologischen Transformationsprozessen zu überdenken. In meinem Beitrag möchte ich daher argumentieren, dass das Konstruieren utopischer Welten dabei helfen kann unsere Umwelt aus erweiterten Perspektiven verstehen zu lernen, in denen auch die Interaktion zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren berücksichtigt werden kann.

Lernen, Verlernen und Umlernen sind wichtige Fähigkeiten angesichts sich ständig verändernder sozialer und ökologischer Bedingungen. Doch wie können wir Strukturen in Frage stellen, das Selbstverständliche ansprechen, wie können wir die Dinge auf den Kopf stellen um neuen Sinn zu schaffen? Die Methode des utopischen Imaginierens kann dabei ein bedeutsames Werkzeug sein, um der Pluralität unserer Gegenwart mit Kreativität zu begegnen, sowie um den Menschen als Teil eines durchlässigen, sich ständig verändernden ökologischen Netzes von Akteuren zu betrachten.

Das Konstruieren neuer Welten kann also dazu dienen, die bisherige anthropozentrische Sichtweise auf unsere Umwelt zu überwinden und die Bedeutung und Vielzahl von nichtmenschlichen, posthumanen Realitäten hervorzuheben. Konstruieren bedeutet etymologisch das ‘schichtweise über- oder nebeneinanderlegen, aufschichten, ordnen’. In diesem Sinne ist die Utopie kein Entwurf, keine Blaupause welche es umzusetzen oder zu errichten gilt. In ihrer Vielzahl und in ihrer Überlagerung kann sie stattdessen als Erweiterung unserer Realität angesehen werden - als eine Assemblage aus sich überlagernden, möglichen und unmöglichen Realitäten.

Utopien erweitern somit die Grenzen des Erwartbaren. In der imaginierten Welt der Utopie wie auch im Posthumanismus geht es um das Hinterfragen von Regeln, sowie um Grenzen wie auch um die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Gegenüber eines lediglich passiven Kritisierens des Istzustandes kann das utopische Imaginieren als aktive Komponente dazu beitragen, jene Grundlagen des Zusammenlebens zu hinterfragen sowie unsere Vorstellungen von Natur als statisches und unveränderliches Objekt zu überdenken. Darüber hinaus wird die im Nachhaltigkeitsdiskurs oftmals eindimensionale Betrachtung gesellschaftlicher Transformation um eine Vielzahl postanthropozentrischer Dimensionen erweitert. Die Utopie ist somit wichtiger Bestandteil im Wandel hin zu einer bewussten sozialökologischen Transformation – nicht als starrer Fixpunkt, den es zu erreichen gilt, sondern als Methode zur Konstruktion einer Assemblage von Perspektiven auf unsere Ökosysteme.