Schulen als Orte der Begegnung? Elterliche Perspektiven auf den Umgang mit Diversität in der Schule

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 4
Autor*innen
Kurz­be­schreib­ung
Grundschulen gelten als wichtige Orte für gruppenübergreifende Kontakte. Das selektive Wahlverhalten von Eltern führt jedoch zu deutlichen Segregationsprozessen. Wir argumentieren, dass der Umgang einer Schule mit Diversität das Wahlverhalten von Eltern und damit auch gruppenübergreifende Interaktionen stark beeinflusst.

Abstract

Internationale Forschungen zeigen, dass Kontakte zwischen Gruppen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichem ökonomischem Kapital sehr voraussetzungsvoll sind. Auch das Wohnen unterschiedlicher sozialer Gruppen ‚Tür an Tür‘ führt nicht zwangsläufig zu mehr Austausch. Vielmehr bedarf es entsprechender Gelegenheitsstrukturen, die unterschiedliche Gruppen zusammenbringen und „bedeutungsvolle Kontakte“ (Valentine 2008) ermöglichen. Zu diesen sogenannten „micro-publics“ (Amin 2002) werden auch Schulen gezählt, da sie auf Basis ge¬meinsamer Interessen und Aktivitäten das Potential haben, unterschiedliche Gruppen in Kontakt zu bringen.

In vielen europäischen Städten übersteigt jedoch die Schulsegregation die residentielle Ungleichverteilung. Ein Grund hierfür ist das (sozial) selektive Wahlverhalten von Eltern. Insbesondere für bildungsaffine Mittelschichtseltern ist die Wahl der ‚richtigen‘ Schule ein zentrales Thema, bei der neben der (pädagogischen) Qualität vor allem die soziale und ethnische Zusammensetzung der Schule eine wichtige Rolle spielt. Ein weiterer Faktor, der die schulische Segregation beeinflusst, sind schulische Politiken und ihre Wahrnehmung aus Perspektive der Eltern. Diese Politiken und ihre Umsetzung drücken sich beispielsweise in den Leitlinien, Routinen und Alltagspraktiken einzelner Schulen aus. Wie genau die Struktur und Ausrichtung von Grundschulen das Wahlverhalten von Eltern – und damit auch die Bedeutung von Schulen als potentielle Orte der Begegnung – beeinflussen, wurde für Deutschland bislang jedoch noch kaum untersucht.

In unserem Beitrag gehen wir deshalb der Frage nach, wie (diversitätsorientierte) Leitlinien und Handlungspraktiken institutioneller schulischer Akteur*innen den Zugang und damit die die Zusammensetzung von Grundschulen prägen. Aufbauend auf qualitativen Interviews mit Akteur*innen aus Grundschule und Schulverwaltung (11) sowie mit Eltern von Erst- und Zweitklässler*innen (56) interessiert uns dabei insbesondere das Zusammenspiel aus institutionellen und individuellen Perspektiven. In unserem Beitrag untersuchen wir die Auseinandersetzung mit Diversität an fünf unterschiedlich stark segregierten Grundschulen in einem sozioökonomisch und natio-ethno-kulturell vielfältigen Stadtteil einer nordrhein-westfälischen Großstadt. Wir analysieren, inwieweit schulische Leitlinien und Alltagspraktiken den Erwartungen, Wünschen und Bedenken von Eltern in Bezug auf Diversität entsprechen. Wir argumentieren, dass schulische Strukturen und Praktiken (beispielsweise hinsichtlich der Transparenz von Wartelisten) und ihr sehr defensiver Umgang mit Diversität das Wahlverhalten und die Zusammensetzung von Schulen deutlich beeinflussen. Die empirischen Daten unseres Beitrags wurden im Rahmen eines DFG-Projekts zur elterlichen Schulwahl erhoben.