Situative ortsbezogene Solidarität in super-diversen Stadtquartieren
Abstract
Diverse Studien argumentieren, dass mit steigender Diversität besondere Herausforderungen für das Zusammenleben in städtischen Räumen einhergehen. Putnam (2007) argumentiert beispielsweise, dass mit zunehmender ethnischer Diversität die kollektive Identität und damit auch Sozialkapital und Solidarität abnehmen. Dies ergibt sich aus der Annahme, dass Solidarität in erster Linie auf gemeinsamen Normen und Werten beruht. In der Literatur gibt es hingegen auch Belege dafür, dass Solidarität auch in sehr heterogenen Kontexten beobachtet werden kann, in denen Menschen zusammenleben, die in unterschiedlichen Normen- und Wertesystemen sozialisiert wurden (Bynner 2019). Aber worauf lässt sich Solidarität dann zurückführen? Was sind die verbindenden Merkmale, die Menschen in superdiversen Kontexten zusammenhalten? Oosterlynck et al. (2015) bezeichnen ‘Begegnung‘ als eine wichtige Quelle der Solidarität und betonen die Relevanz bestimmter Orte. Sie argumentieren, dass in superdiversen und sich schnell verändernden Kontexten, in denen traditionelle soziale Bindungen (Familie, Arbeit) an Bedeutung verlieren, Solidarität in alltäglichen Orten und Praktiken in den Quartieren begründet ist, in denen Menschen mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Hintergründen zusammenkommen.
Im vorliegenden Beitrag wird dies am Beispiel des Phänomens „arrival brokering“, also des Teilens von Erfahrungen und Weitergebens von ankunftsspezifischem Wissen zwischen Zugewanderten, analysiert. Der Beitrag argumentiert, dass die Motivation ankunftsspezifisches Wissen weiterzugeben auf eine Solidarität zwischen Zugewanderten zurückzuführen ist. Neben theoretisch-konzeptionellen Annahmen werden empirische Ergebnisse von qualitativen Interviews mit “arrival brokers“ im Ankunftsquartier Dortmund-Nordstadt vorgestellt. Die Ergebnisse legen nahe, dass die wichtigste Quelle der Solidarität in superdiversen Kontexten nicht gemeinsame Herkünfte, Normen oder Werte sind, sondern ein Gefühl der Verbundenheit, das durch kollektive Migrationsgeschichten, geteilte Erfahrungen und gemeinsame Alltagspraktiken entsteht. Dies kann als situative ortsbezogene Solidarität zwischen Menschen beschrieben werden, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und nun an einem Ort zusammenleben.
Das Situative deutet auf die besondere Bedeutung von Begegnungsorten für (kurzfristige, zufällige) Kontakte und Interaktionen hin. Forschungen bestätigen die besondere Bedeutung dieser Kristallisationsorte der Begegnung und des Ressourcenaustauschs, die als Teil der „Arrival Infrastructures“ (Meeus et al. 2019) das Ankommen erleichtern (Hans u. Hanhörster 2020). Der Beitrag beleuchtet diese Orte, die die Lebenswelten und Aktionsräume der Menschen miteinander verknüpfen, und so die Grundlage für Solidarität bilden. Die Forschung leistet damit einen Beitrag zum Verstehen des Zusammenlebens in super-diversen Stadtquartieren und der besonderen Bedeutung von Begegnungsorten.