Small Places Matter: Polyzentralität in ländlichen Berggebieten

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
SH 2.106
Autor*innen
Dominik Bertram (FAU Erlangen-Nürnberg)
Markus Lambracht (FAU Erlangen-Nürnberg)
Kurz­be­schreib­ung
Dieser Beitrag untersucht die Rolle der Erreichbarkeit für die Zentralität von kleinen Städten und Siedlungen in den Alpen. An der Schnittstelle zwischen theoretisch-konzeptioneller und angewandter Regionalentwicklung tragen wir zur Debatte über die Organisation eines nachhaltigen Siedlungssystems in Bergregionen bei.

Abstract

In der Regionalentwicklung zielt das Konzept der Zentralität auf eine gleichwertige räumliche Organisation der Daseinsgrundvorsorge ab. Aus einer normativen Perspektive werden Dienstleistungen so ‚verteilt‘, dass alle Zentren in bestem Maße gleich gut erreichbar sind. In einem Europa der gleichwertigen Lebensverhältnisse ist eine polyzentrale Raumstruktur daher sowohl im normativen als auch im analytischen Diskurs von hoher Relevanz. Eben dies stellt in sehr spezifischen Räumen wie Küsten‑, Grenz- und Bergregionen eine Herausforderung dar. Besonders in Bergregionen ist aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte die Anzahl und Größe der Zentren gering, zudem ist deren Erreichbarkeit reliefbedingt erschwert. Bei der Untersuchung von nachhaltigen Raumstrukturen in ländlichen Räumen wird die Morphologie in der Regel oft nur nachrangig berücksichtigt. Dabei beeinflusst diese das Siedlungssystem in Bergregionen auf bedeutsame Weise: Höhen- und Tallagen als spezifische Merkmale führen zu einer wachsenden Bedeutung von räumlichen Entwicklungsachsen, dünn besiedelten Gebieten und grenzüberschreitenden Räumen.

Berggebiete erfordern daher eine besondere Form der räumlichen Organisation: eine eingeschränkte Erreichbarkeit führt entweder zu weiteren Entfernungen und damit längeren Fahrzeiten oder (im besseren Fall) zu einer Verteilung von Dienstleistungen auf kleinere Siedlungen. Mit dem multiskalaren Konzept der Polyzentralität werden seit Jahrzehnten Potentiale einer räumlich gleichwertigen Entwicklung untersucht, die eine Vielzahl von (kleineren) Zentren miteinander verbindet. Vor diesem Hintergrund erscheint die kleinräumige Polyzentralität im Kontext ländlicher Berggebiete als ein relevantes Untersuchungsfeld.

Unser Beitrag baut auf einer umfassenden Erreichbarkeitskartierung von 780 Orten in den Alpen mit mehr als 3.000 Einwohnern auf. Der explorative Ansatz untersucht die Beziehung zwischen Erreichbarkeit und Zentralität anhand ausgewählter kleiner Orte. Die zentrale Frage lautet: Welche Rolle spielt die Erreichbarkeit für die Zentralität von Orten mit weniger als 5.000 Einwohnern in den Alpen? Die empirische Arbeit stützt sich auf Daten des vom Schweizer Vorsitz der Alpenkonvention koordinierten 9. Alpenzustandsbericht: Alpine Towns. Vor allem im inneren Bereich der Alpen ist die Einwohnergröße allein nicht ausschlaggebend für die Bedeutung funktionaler Merkmale. Viele kleine Alpenstädte und Siedlungen erfüllen Schlüsselfunktionen für große Einzugsgebiete. Dieser Ansatz an der Schnittstelle zwischen theoretisch-konzeptioneller und angewandter Regionalentwicklung ist ein Beitrag zur Debatte über die Organisation eines effizienten und nachhaltigen Siedlungssystems in Bergregionen. Darüber hinaus hat er das Potential, in anderen Gebieten mit geografischen Besonderheiten wie beispielsweise Grenzregionen angewandt zu werden, die für die Europäische Kohäsionspolitik typischerweise relevant sind.