Territorien im Widerstand – Geographien in Bewegung(en): Erfahrungen mit Forschung in Aktion in Favelas in Rio de Janeiro

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
SH 1.108
Autor*innen
Timo Bartholl (Universität Federal Fluminense)
Kurz­be­schreib­ung
Ausgehend von der Erfahrung als Bewohner und der Partizipation in Widerstandsprozessen in Favelas sowie als forschender Geograph möchte ich der Frage nachgehen, ob und wie wir Wissenschaft als Werkzeug sozialen Widerstand nutzen und dabei einen horizontalen Wissensdialog etablieren können
Schlag­wörter
Geographie in Bewegung, Forschung in Aktion, Favela, Territorium, Widerstand

Abstract

Von welchem Nutzen kann Geographie für soziale Bewegungen und für radikalen sozialen Wandel sein? Dieser Frage möchte ich in diesem Beitrag ausgehend von Erfahrungen, die ich im Rahmen sozialer Basisbewegungen und mit Forschung in Favelas in Rio de Janeiro über die letzten fünfzehn jahre gesammelt habe. Ich möchte ausgehend von Überlegungen zum Verhältnis der Geographie zu sozialen Bewegungen in Brasilien einige Ansätze von Aktionsforschung in Lateinamerika vorstellen und der Frage nachgehen, wie es methodisch möglich sein kann, soziale Bewegungen durch Forschung nicht nur besser zu verstehen, sondern auch zu unterstützen. Hierzu reflektiere ich einige eigene Forschungserfahrungen an der Schnittstelle Wissenschaft-soziale Bewegung und Universität-urbane Peripherie, die ich in Rio de Janeiro im Kontext eines territorial umkämpften Kontinents Lateinamerika gesammelt habe, um darauf aufbauend Umrisse von Geographien in (sozialer) Bewegung zu skizzieren, die auf aktiver Betiligung an widerständigen Prozessen und dem Ziel der Etablierung eines horizontalen Wissensdialogs aufbauen.

Ich möchte zunächst kurz auf das Verhältnis von Geographie und sozialen Bewegungen in Brasilien schauen um dann inspirierende Erfahrungen aus Lateinamerika, in Aktion zu forschen, vorzustellen. Anschließend teile ich eigene Forschungserfahrungen in urbanen Peripherien des globalen Südens, vorwiegend in der Metropolitanregion Rio de Janeiros.

Auf den Erfahrungen aufbauend bin ich der Ansicht, dass es durchaus möglich und sinnvoll sein kann, „Geographien in (sozialer) Bewegung“ (Bartholl 2018) zu machen. Inspiration findet sich hierbei unter anderem bei Sousa Santos (2011), dessen Vorschlag eines horizontalen Wissensdialogs die Bedeutung der Epistemologien des Südens und einen damit verbundenen Perspektivenwechsel hervorhebt und sich dem Epistemizid durch eine eurozentrische Wissenschaft entgegenstellt. Eine Welt, in die im zapatistischen Sinne viele Welten passen, ist eine Welt, in der viele Formen sie zu lesen und zu leben nebeneinander existieren können. Ist es einerseits möglich, durch Forschung Widerstand unterstützend zu begleiten, dürfen wir anderseits nicht zu viel von dieser Unterstützung erwarten und auch keine zu großen Erwartungen wecken. Radikaler sozialer Wandel ist dann möglich, wenn kollektiv für ihn gekämpft wird. Dementsprechend kann es in einem horizontalen Wissensdialog aus wissenschaftlicher Sicht nur darum gehen aktiv mitzumachen, mitzudenken und solidarisch widerständige Prozesse zu begleiten, ohne jedoch darauf hinzuarbeiten oder zu erwarten, dabei eine Vorreiterrolle zu übernehmen.

Abschließend möchte ich somit reflektieren und gemeinsam mit den Teilnerhmer*innen der Sitzung diskutieren, ob und wie Geographie in (sozialen) Bewegung(en) sinnvoll gestaltet werden kann.