(Un)berechenbarkeiten der Berge: Multiskalare Betrachtungen gesellschaftlicher Dimensionen der Wissensproduktion und -zirkulation im gesellschaftlichen Umgang mit Naturgefahren in der Schweiz
Abstract
Der gesellschaftliche Umgang mit Naturgefahren basiert in bedeutendem Maß auf der Anwendung sozial situierten Wissens und der gezielten Produktion bestimmter Wissensbestände zum Umgang mit Naturgefahren und -risiken (z.B. Scolobig u. Pelling 2016). Aufbauend auf einem Verständnis von Sociotechnical Imaginaries als wechselseitige Verflechtungen kollektiv geteilter Visionen sozialer Ordnungen und wissenschaftlicher sowie technologischer Systeme (Jasanoff 2015) stellt der Beitrag Zwischenergebnisse eines Projekts vor, das die räumliche Wirkmächtigkeit von Sociotechnical Imaginaries im gesellschaftlichen Umgang mit Naturgefahren der Schweiz empirisch herausarbeitet. Ausgehend von einer multilokalen ethnographischen Feldstudie werden ausgehend vom lokalen Kontext der Region Entlebuch in den zentralschweizer Voralpen (Kanton Luzern) Prozesse und Kontexte der Wissensproduktion und -zirkulation und deren Wechselbeziehungen mit sozialen Prozessen der Raumproduktion skalenebenenübergreifend analysiert. Auf Grundlage von Interviews, informellen Gesprächen, Beobachtungen und Dokumentenanalysen auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene (z.B. mit Praktiker*innen, politischen Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen, Anwohner*innen) wird der Frage nachgegangen, wie sich frühere und aktuelle Zukunftsvisionen (z.B. in Bezug auf die Entwicklung ländlicher Bergregionen oder die gesellschaftliche Bedeutung technischer Lösungen in Gesellschaft-Umwelt-Beziehungen) in Ausprägungen des Naturgefahrenrisikomanagements und damit zusammenhängenden Prozessen der Wissensproduktion und -zirkulation materialisieren. Um diese Dynamiken zu veranschaulichen, wird ein Dorf im Entlebuch als Beispiel herangezogen, dessen Entwicklung seit jeher mit teilweise konflikthaften gesellschaftlichen Aushandlungen des Umgangs mit Naturgefahren verknüpft ist, z.B. durch variierende Handhabungen von Gefahrenkarten als raumplanerische Instrumente, die Planung und Umsetzung von Schutzbauten und die Einrichtung eines kommunalen Lawinendiensts. Ausgehend von intensiven Auseinandersetzungen mit Alltagspraktiken und Lebenswirklichkeiten auf lokaler Ebene setzt der Beitrag historische und aktuelle raumbezogene Zukunftsvisionen in Bezug zu Aushandlungen des Umgangs mit Naturgefahren und damit einhergehenden Prozessen der Wissensproduktion und -zirkulation. Dabei ist die Einordnung der jeweiligen Prozesse in skalenebenenübergreifend wirksame Sociotechnical Imaginaries zentral.
Quellen:
Jasanoff, S. (2015). Future Imperfect: Science, Technology, and the Imaginations of Modernity. In S. Jasanoff & S.-H. Kim (Eds.), Dreamscapes of modernity: Sociotechnical imaginaries and the fabrication of power (pp. 1–33). The University of Chicago Press.
Scolobig, A., & Pelling, M. (2016). The co-production of risk from a natural hazards perspective: science and policy interaction for landslide risk management in Italy. Natural Hazards, 81(S1), 7–25. https://doi.org/10.1007/s11069-015-1702-1