Ursula K. Le Guin: Geschichte(n) feministisch und tragend (wieder-)erzählen

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
SH 1.108
Autor*innen
Manuel Wagner (Annalinde gGmbH)
Kurz­be­schreib­ung
Ursula K. Le Guin eröffnet mit ihren Sozialutopien und theoretischen Überlegungen zu Utopien den Denkraum für konviviale Zukünfte und versetzt uns von dort aus in die Lage bestehende Verhältnisse zu transformieren. Damit inspiriert sie bis heute einflussreiche Autor*innen aus dem Spektrum von Feministischer Theorie, Posthumanismus und New Materialism.

Abstract

In dem Lightning-Beitrag werde ich in die sozialutopischen Gedanken und Schriften der Autorin Ursula K. Le Guin (1929-2018) einführen.

Le Guins Romane, Geschichten und Essays, setzen sich praktisch und theoretisch mit sozialutopischen Gedanken und Zukünften auseinander und unterscheiden sich von den bis dato Dominanten.

In ihrer Science-Fiction schuf sie Welten, die z.B. hierarchiefrei/anarchistisch (The Dispossessed, 1974), androgyn/geschlechtslos (The left Hand of Darkness 1969) oder nicht-expansiv/konvivial (Always Coming Home, 1985) sind. Diese Welten stellen keine starre, feste, unerreichbare Blaupause dar, wie sie oft mit dem Terminus Utopie/utopisch verknüpft wird, sondern sind stattdessen nahbar, alltäglich, ohne ‚klassischen‘ (männlichen, weißen) Helden, fehlerhaft, ambivalent, prozesshaft, anarchistisch:

“In ihrem gesamten Werk demaskierte Le Guin utopistisches Fortschrittsdenken als eine patriarchale Phantasie, die früher oder später unausweichlich in Totalitarismus und Gewalt umschlägt“ (Fersterer in Le Guin 2020: 7).

In mehreren Essays (zB A Non-Euclidean View of California as a Cold Place to Be oder The Carrier Bag Theory of Fiction beide 1989) theoretisierte Le Guin diese gegenhegemoniale Sichtweise auf die Art und Weise Geschichten zu erzählen.

Verschiedene einflussreiche Autor*innen aus dem Spektrum von Feministischer Theorie, Posthumanismus und New Materialism wie z.B. Donna J. Haraway (2016), María Puig de la Bellacasa (2020) oder Anna L. Tsing (2015; 2017) beziehen sich grundlegend auf die Art und Weise wie Le Guin Geschichten erzählt: unheroisch, feministisch, tragend, sorgend, unscheinbaren Pfaden folgend, spekulierend.

Gerade Haraway hat dabei in den letzten Jahren aufbauend auf Le Guins Ideen die Figur des SF entwickelt:

Die Autorin entwirft in ihrem Werk Staying with the trouble die Figur des “SF”. Diese Chiffre steht für science fiction, science fact, string figures, speculative fabulation, speculative feminism und vieles mehr. Mit Bezug auf Le Guin schreibt sie:

“It matters what stories make worlds, what worlds make stories.” (Haraway 2016: 29)

“Ursula Le Guin taught me the carrier bag theory of storytelling and of naturalcultural history. Her theories, her stories, are capacious bags for collecting, carrying, and telling the stuff of living.” (Haraway 2016: 39)

Mit der SF Figur eröffnet sich so die Möglichkeit bekannte Geschichte(n) feministisch und tragend wiederzuerzählen, umzuschreiben, zu verwirren, zu irritieren, zu verheddern, unruhig zu bleiben. Vor allem aber (bis dato) ungesehene, ungehörte Geschichten (des Lebens) zu finden, zu sammeln, zu erzählen.

In Le Guins Utopien liegt emanzipatives Potential des Um- und Anders-Schreibens, welches Möglichkeitsräume eröffnet, Ungesehenes oder Ungesagtes zu artikulieren und den Blick auf die life stories richtet. Somit versetzten Le Guins Gedanken uns in die Lage andere Zukünfte zu imaginieren und von dort aus die heutigen Umstände zu transformieren.